EIN ABEND MIT PFIFF

Die im Boden eingelassenen Luken geben geöffnet zwei Treppengänge frei. Stufe an Stufe reiht sich der Weg zu den Räumen des Mojo Clubs. Das Licht gedimmt. Stehende Luft, im Gegensatz zur frischen Brise eine Etage höher auf der Reeperbahn. Musik erklingt bereits, als ich endlich im Club stehe. Eine Wand zahlreicher Rücken beschränkt meine Sicht auf die Bühne. Hier in den hinteren Reihen wiegen sich die Körper leicht im Rhythmus. Eingestimmt in das heutige Abendprogramm.

Die Band macht eine Ansage und es folgt ein letztes Lied, für mich erster Eindruck. AB Syndrom spielen eine angenehm prickelnde Melodie. Dann versinke ich in Gedanken, bei den Worten „Ich in Angora. Du in Bora-Bora“. Zurück zum Reisejournalismus-Seminar, an dem ich dieses Wochenende teilnehme und die Südseeinsel mit Korallenriff, so bunt wie die Töne des berliner Duos.

Ein Mine Konzert in Hamburg

Durch das Publikum mit durchwachsener Altersstruktur schlängele ich mich in der Pause an den Bühnenrand. Eindrucksvoll ragt eine silber glänzende Trommel vor mir auf. Rechts und links Keyboards. Ein Platz für den Gitarristen, weiter hinten Schlagzeug und Bass. Vor dunkler Wand leuchten unzählige Punkte auf. Kleine LED-Lichter durchbrechen die Dunkelheit. Zuvor nannten sie den heutigen Gast in geschwungener Schrift bei Namen: Mine.

Jetzt lassen sie den Nebel blau glitzern. Werden von bereitstehender Keytar reflektiert. Leuchtsäulen im Hintergrund und die Atmosphäre ist galaktisch.

Während ein Quintett die Bühne betritt, löst sich sirrende Vorfreude in frohen Applaus auf. Fünf Personen, Zentrum und treibende Kraft ist die Künstlerin Mine. Samt Live-Band ausgerückt, das Hamburger Publikum mit außergewöhnlichen Songs zu beglücken. Denn davon sprüht auch ihre aktuelle Platte Klebstoff.

Lieder, die ihren Charme im Spiel mit Textzeilen offenbaren. Melodien eingängig und doch nicht gleich im Eingang umfassend verständlich. Denn die Kompositionen werden mit jedem Hören besser, entfalten hinter ergreifenden Synthklängen und kleiner Verschrobenheit ihr volles Potenzial. Der Höhepunkt heut beim Konzert.

Ein Abend, an dem der Mond aufgeht

Glitzernd im Rücken der Sängerin, die lacht, als das Publikum in ihre Zeilen einstimmt. Und dann vor Glück überwältigt auch mal ganz dem Besucherchor die Führung überlässt. Die Stimmung ungezwungen.

Aus Brüchen humorvoller Einlagen und wiederum ernsten Themen strickt Mine ihren roten Faden. Darauf fädelt sie gesellschaftskritische Themen, den Appell Social Media nicht das Selbstbild verändern zu lassen oder Erdbeeren im Winter. Abwechselnd mit Schwimmzügen in den Wogen der Masse und vor Lachen tränenden Augen, als die Kinderstimme Mine’s erklingt.  

Aufnahmen alter selbst bespielter Kassetten leiten mit glockenhellen Phrasen ähnlich wie „seid ihr bereit“ oder „ich fang dann jetzt an“ den nächsten Song ein.

Es ist bereits der neunte Termin ihrer „Klebstoff“-Tour an einem 11. Mai. Die Band ein eingespieltes Team. Selbst die vielen Feature-Gäste ihres Albums bekamen, trotz fehlender persönlicher Anwesenheit, eine Stimme. Konzertbesucher im Bann. Bejubelt wird, was sich auf der Bühne abspielt. Und wenn die Sängerin ins Mikrophon pfeift, imitiert der Saal eine Beifall-Alternative, so sonderbar wie der Abend. In einem durch und durch positiven Sinn.

Der Boden wird, übersät mit Bechern und Limettenvierteln, Zeuge einer großartigen Feier im Mojo Club. Das angekündigte Schnäpschen hat sich Mine am Ende ihrer Show und vor dem ersten freien Tag der Tour verdient.

Fotos: Annekatrin Schulz