DIESE SHOW IST NOCH NICHT ZU ENDE

Man könnte meinen, die Temperaturen am Nachmittag des 24. Aprils wollen mich an die sich anbahnende Hitzewelle in der Großen Freiheit 36 gewöhnen. Doch auch der intensive Sonnenschein konnte mich auf Bevorstehendes nicht vorbereiten. Erwartungsfroh und mit Sohlen glitzernder Schuhe unter den Füßen betrete ich den Club. Stickige Luft schlägt mir entgegen, zum Ende des Abends mit tropischem Ausmaß. Trotzdem bleibt dies nur Begleiterscheinung, liegt der Fokus doch auf Schall und Nebel. Durch die Luft transportiertes Gut, das die heutige Show prägt. Mehr braucht es nicht, um mich in den Bann zu ziehen.

Nachdem ich mich rechts von der Bühne eingefunden habe, dauert es eine Weile bis immer mehr Leute in dem Club auf der Reeperbahn eintreffen. Gemischte Gesichter und Getränke gehen durch die Reihen. Anders als sonst befinde ich mich dieses Mal nicht inmitten des Getümmels. Ein Platz etwas abseits, reserviert, um an den Einstellungen und Rädchen meiner Kamera zu drehen. Bevor ich dann mit ausgehenden Lichtern geduckt in den Bühnengraben schlüpfe. 

Das deutsch-luxemburgische Trio Say Yes Dog tritt ins Zentrum des Interesses. Goldenes Licht im Rücken, wie die aufgehende Sonne an einem Mittwochabend.

Prickelnde Melodien lassen die Luft elektrisiert knistern. Mit einem glücklichen Grinsen mische ich mich wieder unter das Publikum. Nicht, weil ich einen guten Schnappschuss gelandet hätte – das entspräche eher dem Gegenteil. Der Sound sickert langsam unter meine Haut, Rhythmus durch die Adern. Wärme umgibt mich längst nicht mehr allein von Außen. Es freut mich, die Band mit Instrument und Stimme spielen zu sehen.

In Gedanken hoffe ich auf mein Lieblingslied Stronger. Begleitet hat es mich bei einigen wilden Städtetrips. In der euphorischen Phase zwischen Abitur und Studium. Das lässt die Erinnerungen tanzen. Und enttäuscht werde ich nicht. Bevor das sympathische Trio die Bühne räumt, setzt die bekannte Melodie ein, Sehnsucht aus, ein wenig Fernweh an.

Der Umbaupause werde ich mir nicht so recht bewusst, da ist sie auch wieder vorbei.

Vielleicht habe ich schon einen Blick auf die Fotos der Vorband geworfen. Panik bekommen, dass mir beim kommenden Programmpunkt kein gutes Bild gelingt. Und mangels seelischer Unterstützung vor Ort, die beistehenden Beratungsstellen in Regensburg, Gießen und Co. kontaktiert. Dank euch wird aus Nervosität eine gute Aufregung. Shoutout. Dann lights out.

Die erste Reihe klammert sich an die metallene Absperrung. Tosendes Geräusch aus den Lautsprechern.

Lichtkrümel werden auf die im Hintergrund gespannten Vorhänge projiziert. Huschen zitternd umher. Als die Bühne mit Musikern gefüllt ist, löst sich das Getose zur Einleitung des Songs Go Rilla. 95 Prozent meiner folgenden Fotos sind verschwommen, da ich kopfwackelnd lautstarkt den Refrain mitsinge. Oder zu dunkel. Die Beleuchtung beschränkt auf vereinzelte Scheinwerfer, die ihre Strahlen gen Publikum senden. Der Sänger Filippo Bonamici bleibt dabei in Schatten gehüllt. Silhouetten lassen die Konstellation auf der Bühne erahnen.

Nebelwolken legen sich von Zeit zu Zeit über das Erscheinungsbild der Band. Doch die eingeschränkte Sicht hindert nicht den Ton, an mein Ohr zu gelangen. Und bei aller Vorstellungskraft, aber das erste Mal Fil Bo Riva live haut mich aus den Socken. Unglaublich intensiver Gesang. Rau, den Klang dunkel gefärbt, löst allein die Stimme bei mir Chills aus.

Kerzenschein-Atmosphäre

Gesang und Begleitung formen sich zu Rhythmus und Melodie. Zu Worten neuer Songs aus dem Album Beautiful Sadness, dessen Titel nicht treffender meinen Gefühlszustand beschreiben könnte. Auch Tracks von If You’re Right, It’s Alright finden Gehör. Die Leute singen mit. Und strecken die Hände zu einem bangbang bei Like Eye Did in die Höhe. Ich schwelge ganz gedankenverloren in der Musik. Gefesselt vom Klang. Die Augen geschlossen, bekomme ich vermutlich die einzige mächtige Lichtexplosion auf der Bühne nicht mit. Doch das ist egal.

Ein Song brennt sich mir an diesem Abend ins Herz. Ich muss gestehen, mich hat er überrascht. Eigentlich nicht mein Lieblingslied der neuen Platte hat die Liveversion von L’impossibile bleibenden Eindruck hinterlassen. Gezügelte Strophen, in kleinen Rinnsalen fließen sie zuerst. Münden dann in einen mitreißenden Refrain. Überheblich, bescheidener Prunk.

Durch die italienische Sprache wirkt es wie eine Ode, feierlich entladen sich Melodie und Text in den verschwitzen Saal.

Ich bin überwältigt. Nicht nur ich. Auch Fil Bo Riva haben sichtlich Freude an diesem Konzert. Als Sänger Filippo zum Dank an die Besucher*innen mit „Diese Show ist…“ ansetzt, wird er von einem Ruf aus dem Publikum unterbrochen: „..noch nicht zu Ende!“. Recht hat er damit. Zugaben später, Zugabfahrt verpasst. Das ist es mir wert. Bei dem Konzert war ich nicht wie sonst mittendrin. Wild getanzt habe ich auch nicht. Ohne große Showeinlage. Doch der Abend war für mich wunderschön.

Fotos: Annekatrin Schulz