DIE ROTE LEDERJACKE

Die Bühne erstrahlt im warmen Scheinwerferlicht. Alle Besucher*innen scharen sich vor ihrer Mitte. Verschwitzt, mit wirren Haaren vom wilden Tanzen. Immer mehr Arme strecken sich in die Höhe. Sprießen wie orangene Blumen aus dem Publikumsmeer. Die Gitarre erzittert, das Schlagzeug braust auf. Ein Mann in roter Lederjacke, spitze Schuhe zu den schwarzen Jeans, bewegt sich ausgelassen im Rhythmus der Musik. Seine volle Haarpracht wirbelt auf, als er Anlauf nimmt. Keine zwei Sekunden später tragen ihn Hände durch den Saal. Rücklings, das Mikrophon fest im Griff ertönt ein Refrain:

„I get my kicks. Take the money, I’ll get my fix“

Am Dienstag, den 29. Oktober, gibt Barns Courtney ein Konzert im Berliner Festsaal Kreuzberg. Es ist eine halbe Stunde vor Einlass, Leute trudeln ein und es bildet sich im Abenddunkel eine Schlange vor der behüteten Tür des Festsaals. Ein Licht flackert. Durch Fenster sind Schatten zu sehen, die im Vorraum T-Shirts für den Merch drapieren. Und als es endlich nach Drinnen geht, rollen die ersten bereits ergatterte Poster zwischen den Fingern.

Nach einer Stunde ungeduldigen Wartens verstummt die Hintergrundmusik. Kurz wird es dunkel. Dann hell auf der Bühne. Ein Quartett tritt ins Licht. Angeführt vom Frontmann, dessen Haare wie Spaghetti über die Ohren fallen. Sein rechtes Auge ist blau eingerahmt, aber was macht das schon. Es ist ja bald Halloween. Will and the People, kurz W.A.T.P., schüren Feuer und Atmosphäre in der Menge.

Stimmungsmacher im Vorprogramm

Alle im Tanzschritt, rechts-links. Die Arme nach oben. Jubeln zu den ansteckenden Melodien. Der Sänger ist oberkörperfrei und turnt über die Bühne. Vereinzelte Personen in den Sitznischen werden mit ironischen Bemerkungen bedacht. Während der Gitarrist die Zeilen aus vollem Hals mitschreit, fühlt der Blonde an den Keys seine Töne. Ab und zu ein Lachen und Witze mit dem Schlagzeuger austauschend, der zu guter letzt sein komplettes Drumset umwirft. Ein chaotischer Haufen.

Es folgt eine Umbaupause, in der alle Kabel mit Tape gesichert werden. Damit bei den folgenden wilden Tanzmoves niemand fällt. Trotz dessen liegt Barns Courtney am Ende auf dem Boden. Beabsichtigt, vielleicht überwältigt und außer Atem von der vergangenen Stunde.

Der erste Song ist Fun Never Ends und ich bekomme nicht viel davon mit, außer die freudestrahlenden Gesichter der Besucher*innen.

Drei Bandmitglieder sind bereits hinter ihren Instrumenten platziert, Barns Courtney kommt als letzter auf die Bühne getrabt. Schnell wie ein Blitz ist er vorn beim Publikum und heizt die Reihen an, ausgelassen im Takt zu klatschen. Das Publikum ist der Bühne zugewandt und die Scheinwerfer spiegeln sich in glänzenden Augen. Barns verschwindet hinter ihren ausgestreckten Armen.

Schon nach kurzer Zeit ist der nackte Oberkörper unter der roten Jacke schweißüberströmt. Der Sänger reckt das Kinn in die Höhe, während seine Finger über die Gitarrensaiten wandern. Sie entlocken dem Instrument Melodien vom Debüt The Attractions Of Youth und dem aktuellem Album 404. Auch ein Intermezzo, in dem sich jubelnder Beifall mit den angeschlagenen Tönen abwechseln, findet Platz.

London Girls hat es mir angetan. Hobo Rocket mit seinem losgelösten Charakter und der gesungenen Reise durch die Sphären.

Wie der Atem voller Kraft das Mikrofon erreicht. Dann wird die Energie gezügelt. Für Little Boy sind sanftere Saiten angeschlagen. Vom kleinen Jungen zu Champion und düsterer Energie. Im gesamten Set fehlt es nicht an Spannung. Die Leidenschaft in der Stimme Barns‘ reißt mit. Die Bühne wie natürlicher Lebensraum, in dem er sich mit flinken Füßen, Drehungen und Hüftschwung bewegt.

Glitter & Gold ein Souvenir aus 2015, der erste Song seines Solo-Projekts. Zu You & I gibt es ein, naja spezielles, Gedicht mit amüsanter Geschichte dahinter. Ich habe vor Lachen Tränen in den Augen. Der Umgang mit dem Publikum ist locker und vertraut. Irgendwann holt Barns Courtney eine Besucherin auf die Bühne, die er von einem anderen Tag wiedererkannte. Als er sich bei ihr im Garten mit seinem Drummer eine Wrestling-Schlacht gab (falls ich das so richtig verstanden habe). Und mehr Lachtränen.

Nach 99′ naht mit Golden Dandelions langsam der Schluss.

Ich möchte nicht, dass dieser Abend endet. Zeit für die Mädels in der ersten Reihe, ihr Pappschild herauszuholen: „Lay me down in golden dandelions“. Weiter hinten im Saal gibt es eine weitere Pappe. Die ist sogar ziemlich riesig. Ein junger Mann hält die Aufschrift „SAM, I’m pregnant“. Einmal gedreht dann „SAM, I would do it again“. Alles klar.

Der Bühne zugewandt, Auftakt für Kicks. Später wird der Sänger dieses Lied auf den Händen des Publikums beenden. Dann der finale Song. Fire hatte es nochmal richtig in sich. Vorantreibende, dumpfe Drums. Ein euphorischer Chor, angeführt von dem Engländer mit seiner glühenden Stimme. Alle gehen in die Hocke. Barns Courtney bahnt sich einen Weg durch die Menschen. Irgendwie unwirklich. Dann bei drei, alle springen auf.

Ein letztes Fest. Meine Finger kribbeln. Ich fühle mich vollkommen. Mit Energie versorgt, Zukunftsvisionen, jetzt kann ich alles schaffen. Und vielleicht hole ich mir auch so eine rote Lederjacke, als Erinnerung an dieses Gefühl.

Fotos: Annekatrin Schulz