BARNS COURTNEY / TEIL 2

Es ist Donnerstag, der 31. Oktober. Zwischen den beiden bodenlangen Vorhängen ist ein kleiner Spalt, durch den spärliches Licht vom Fenster einfällt. Das Bett ist weich. Und meine Decke raschelt leise, als ich ich den Arm ausstrecke. Auf dem Nachttisch taste ich nach den Umrissen meines Handys. Das grelle Licht des Displays blendet meine noch an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Es ist irgendwann nach sieben Uhr in der Früh. Ausgeschlafen bin ich angesichts des gestrigen Konzertabends bei Circa Waves noch nicht. Doch ich zwinge mich, durch zusammengekniffene Lider den erleuchteten Bildschirm zu fokussieren. 

Wenige Minuten später blinken neue Nachrichten in meinem Mail-Postfach auf. Bestellbestätigung bei eventim, zwei Flixbus Buchungen, der Hinweis, dass ich wieder Geld via Paypal verbraten habe. Und plötzlich bin ich hellwach. Die Beine aus dem Bett geschwungen, tapse ich nun barfuß über den glatten Holzfußboden in meinem Zimmer. Wie es aussieht, werde ich in wenigen Stunden für eine Fahrt nach Hamburg aufbrechen. 

Ausflugsplanung aus Affekt

Frisch geduscht, eine Tasse Ingwer-Tee in der Hand tanze ich bei aufgedrehten Lautsprechern durch die Wohnung. In Dauerschleife reihen sich Songs von Barns Courtney aneinander. Spätestens jetzt sind die Nachbarn wach. Und wenn jemand im Hinterhaus aus dem Fenster schaut, fliege ich gegenüber mit ausgebreiteten Armen hinter der Scheibe vorbei. Es läuft Hobo Rocket. Mein Textlernprozess reicht nun neben dem sphärischen „heyheyheyheyhey“ auch über die erste Strophe inklusive Atempause, sodass ich den Refrain stolz und dreimal lauter mitsinge. 

Vorgestern habe ich dieses Lied im Festsaal Kreuzberg gehört. Dort war ich nicht so vertraut mit den meisten Melodien des in Seattle aufgewachsenen Musikers. Kicks bis dato das Lieblingslied. Fire, Glitter & Gold und vom neuen Album London Girls und You And I waren in meinem Repertoire, das ich nun möglichst schnell auszubauen versuche. Hingerissen von dem unglaublichen Konzert. Dem Gefühl und dem Moment. Als ich heut aufwachte, war mir klar, dass ich es nicht dabei belassen kann. Dass ich dieses Erlebnis noch einmal brauche.

Also ließ ich an dem Donnerstag alles fallen. Termine, die Uni und das K.Flay Konzert im Astra Kulturhaus.

Stattdessen setzte ich mich gegen 14 Uhr in den Bus. Sah der vorbeifliegenden Landschaft zu. Wie die untergehende Sonne zwischen Bäumen am Straßenrand aufblitzt. Aus den Kopfhörern dringt Barns‘ Stimme. Ich kuschele mich in meinen zu großen Pullover, im Sitz versunken. Und jage in Gedanken einem Traum nach. Die Vorstellung des bevorstehenden Abends.

Nach dreieinhalb Stunden erreicht der Bus die Hansestadt. Mit Lederjacke und einem schwarzen Jutebeutel unter dem Arm marschiere ich los. Komisches Gefühl, ohne weiteres Gepäck den ZOB zu verlassen, da ich sonst immer für ein paar Tage bleibe. Heut ist es nur eine Nacht. Straßenlaternen leuchten mir den Weg. Und unter den Schuhen quietscht der geflieste Boden der S-Bahn Unterführung. Der Fahrkartenautomat erkennt meinen Zehner nicht an. Zwölf Euro Kleingeld mehr in meinem Beutel steige ich dann endlich in die Bahn zur finalen Destination.

Am Gruenspan nahe der Reeperbahn

Gegen 18 Uhr ist dort noch nicht viel los. Neonlichter flackern über unbelebten Clubeingängen. Die Sitzgarnituren verlassen. Nur eine asiatisch aussehende Frau nimmt auf einer Bank vor verschlossener Tür Platz und gestikuliert wild bei einem Videotelefonat. Ich schreite zügig durch die Straße. Und hinter der Großen Freiheit 36 erkenne ich bereits die wartenden Leute. 

Ich geselle mich zu den schätzungsweise zwölf Mädels, noch eine Stunde bis zum Einlass. Aus meinem Beutel hole ich ein Glas Brombeerjoghurt hervor. Das laute Ploppen beim Aufschrauben des Deckels begleitet mein Gespräch mit einem netten, blonden Mädchen vor mir. Dieses Jahr mit dem Abi fertig geworden, hat sie eine Reise nach Las Vegas geschenkt bekommen. Und war letzte Woche dort zu einer Lady Gaga Show. Wir verstehen uns auf Anhieb gut. Das Gesprächsthema: Konzerte und Barns Courtney.

Konzertgeschichten und Schwärmereien

Apropos, ist das nicht sein Keyboarder, der gerade an uns vorbeiläuft? Dahinter folgt ein bekannter Haarschopf, doch irgendwie scheint es niemand zu merken. Ich zucke zusammen, als meine Gesprächspartnerin heftig winkend ein lautes „huhu!“ ruft und nehme nun auch den Sänger wahr, der zum Gruß die Hand hebt. Dann im Gruenspan verschwindet.

Während die Freude für den kommenden Abend murmelnd durch die wachsenden Reihen wandert, pule ich an der plakatierten Hauswand neben mir. Doch das Exemplar mit den Tourdaten von Barns Courtney ist sehr widerstandsfähig angebracht. Der Lady Gaga Fan bestellt gerade Karten für die anstehende X Ambassadors Tour und ich weihe sie in meinen Plan ein, nachher möglichst weit vorn und genau in der Mitte stehen zu wollen.

Dieses Mal werde ich Barns fangen, wenn er zum vorletzten Song ins Publikums springt. 

Nicht viel später setzen wir dieses Vorhaben um. Ich komme gerade von der Garderobe, dem Pullover und meiner Lederjacke entledigt. Gehe zielstrebig auf meine Konzertbekanntschaft zu, die sich in der zweiten Reihe direkt vor dem Mikrofon platziert hat. Der Saal füllt sich schnell. Die Leute sind motivierter als in Berlin vor zwei Tagen. Manche tragen Halloween-Kostüme. Andere Merchandise. Ich wippe nervös auf meinen Füßen. Die Geduld zum Zerreißen gespannt, als es gegen zwanzig Uhr endlich losgeht.

Eine bunte Truppe betritt die Bühne. Grünes Haar, lila-metallic Leggins und Socken im Schachbrettmuster hinter dem Keyboard. Blaue Strähnen vor weißem Gesicht und ein roter, langer Umhang an der Gitarre. Zum Schlagzeug setzt sich ein pinke Jeans-Träger mit Sonnenbrille. Und nur in Unterhose bekleidet, doch Socken und rote Stoffschuhe im Schottenmuster dürfen nicht fehlen, stellt sich der Sänger ans Mikrofon. Will and the People, meine Damen und Herren. 

Auf der Bühne ist Halloween

Der Supportauftritt wurde noch verrückter als in Berlin. Das Quartett entfaltet sich unter Scheinwerferlicht zu einem wahren Stimmungsmacher. Halloween als Anlass, sich mit schrägen Outfits über die Bühne zu wälzen. Mein ununterbrochenes Grinsen ist demnach nicht nur der angestauten Vorfreude geschuldet. Zwischen mitgesungenen „oh“s und „eh“s, dem Gitarristen, der vor uns wackelig auf einem Monitor balanciert und einem knapp bekleideten Hüftschwung des Sängers. Selbst als ihr Auftritt vorbei und der Umbau in Gang ist, lassen sich die vier Londoner mit Applaus feiern. Blicken mit ausgebreiteten Armen von der Balkonbrüstung auf die Besucher, bevor sie wieder im Backstage verschwinden.

In der gleichen Reihenfolge wie vor zwei Tagen dudeln im Hintergrund Songs von Phoenix, The Kinks, alt-J oder den White Stripes. Gerade stimmt die Menge kollektiv zu einer vokalen Interpretation des berühmten Gitarrenriffs von Seven Nation Army an. Auch wenn es an der Abendkasse noch Tickets für das Konzert gab, ist der Saal dicht gefüllt. Hitze steigt auf. Und ich weiß, dass meine Bluse obgleich ihres leichten Materials zu einem späteren Zeitpunkt verschwitzt an mir kleben wird. Bald müsste der Umbau abgeschlossen sein. Ein tätowierter Typ testet die Instrumente.

Dann das ersehnte Taschenlampensignal von einem Crewmitglied.

Die Hintergrundmusik wird ausgeblendet. Das Licht gelöscht. Die Band kommt auf die Bühne. Als letztes der Sänger. Mit weißem Gesicht und roten Tränen an jeder Wange. Bei dem Grad an Energie und seinen wilden Bewegungen fallen die roten Akzente jedoch schnell wieder ab. Die weiße Farbe klebt bald unter Schweiß zerlaufen an einem grauen Handtuch. Klatschend zuckt Barns Courtney über die Bühne. Das Mikrofonkabel zwischen den Zähnen. Fun Never Ends eröffnet das Set.

So mittendrin den Künstler zu beobachten ist doch was anderes als vom linken Seitenrand. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mir auf der Busfahrt seine Worte eingeprägt habe. Die Wirkung der Zeilen jetzt noch intensiver. Beide Alben The Attractions Of Youth und 404 sprechen zu mir. Mit einer Schwere, gefährlich und heiß. Oder Euphorie, Antrieb und unbeschwerte Atmosphäre. Das durchlebte Tief Barns Courtney’s wird zu Hymnen am Bühnenrand.

Die Suche nach dem verlorenen Kindheits-Ich wird zur Vorlage, dem Erwachsensein für mehr als nur diesen Abend den Rücken zu kehren.

Egal wie kitschig das klingt, bei Hands und Hobo Rocket fühle ich mich frei. Glück durch die Nervenbahnen. Immer wieder reißt das Publikum die Hände nach oben, um den Rhythmus zu klatschen. Und auch heut veranlasst Barns mit seinen humorvollen Ansprachen zwischen den Songs ein Schmunzeln. So ganz weiß ich nie, ob in der Ironie nicht doch ein wenig Wahres steckt. Die Lederjacke rot, wie in Berlin. Doch gegen Ende des Sets bedeckt nichts mehr seinen Oberkörper. Der Abend verging viel zu schnell als Golden Dandelions verklingt und mit Kicks ein weiteres Lieblingslied beginnt.

Ich trete mit jedem Trommelschlag von einem Fuß auf den anderen. Den Text schreie ich schon fast. Jetzt kommt der Sänger dem Publikum gefährlich nah, beugt sich mit dem Mikro zu den ersten Reihen. Die Arme recken sich ihm entgegen. Dann die Aufforderung noch näher zusammenzurücken. Barns zieht sich zurück, steht geduckt vor dem Schlagzeug. Die Haare hängen ihm klitschnass ins Gesicht. Anlauf, Ansatz und Sprung in die Menge. Jetzt kommt mein Moment. Ich merke wie wir unter seinem Gewicht etwas nach hinten taumeln.

Doch dann schwebt Barns Courtney über uns.

Kurz bin ich überfordert, zu verarbeiten, dass ich Teil dieses Erlebnisses bin und gleichzeitig den Refrain mitzusingen. Das gibt sich nach ein paar Sekunden.

Wieder festen Boden unter den Füßen kündigt Barns den letzten Song an. Wie zwei Tage zuvor, lässt er das Publikum hinhocken, um das Meer an geduckten Körpern in der Mitte zu teilen. Er schreitet einige Meter in die Menge, bevor sie explodiert, springend und moshend mit dem Sänger die letzten Takte feiert. Ein Blick durch die Gesichter der Besucher*innen, alle scheinen froh und gleichermaßen überwältigt. Alle setzen zu lauten Zugabe-Rufen an, nachdem die Band das Scheinwerferlicht verlässt.  

Und sie sollten ein Encore bekommen.

Gerechnet habe ich damit nicht. Ich und der Lady Gaga Fan machten uns auf den Weg zur Garderobe. Denn meine Rückfahrt war schon zu 23.45 Uhr gebucht und ich musste spätestens zehn nach elf loslaufen. Langes Anstehen könnte daran hindern. Doch als ich Barns‘ Stimme erneut durch die Lautsprecher tönen hörte, konnte ich nicht anders, als mich nochmal zurück in die Menge zu quetschen. Ich lauschte einem neuen Song, den er nur mit seiner Gitarre vortrug. 

Wenn es mir nicht bereits vorher klar war, wusste ich nun, dass ich nicht schon gehen konnte.

Während das Licht im Saal aufgedreht wird, stehe ich mit meinem Handy in der sich auflösenden Menge. Das Display leuchtet grün auf. Mein Datenvolumen aufgebraucht, dauert es einige Zeit, dann ist die ursprüngliche Rückfahrt storniert. Der nächste Bus verlässt um 2.45 Uhr die Hansestadt. Ab heute kann mir niemand mehr sagen, dass ich nicht spontan wäre. Und vielleicht auch ein wenig verrückt.

Überschwappende Emotionen und ein My Chemical Romance Comeback

Was mein Ziel ist, weiß ich nicht so recht. Also hole ich erst einmal den Gang zur Garderobe nach. Auf der Treppe checke ich meine Mails nach einer Buchungsbestätigung von Flixbus und sehe stattdessen den Betreff „RETURN“ unter der Adresse von My Chemical Romance. Ich blicke mit offenem Mund die Leute um mich herum an und kann einen kleinen Ausraster gerade noch so unterbinden, da wird mir bereits meine Jacke gereicht. Und mein Jutebeutel. Und ich trete den Weg zum Waschraum an. Sinnvoll Zeit verplempern ist das Motto. 

Irgendwann ist der Großteil der Konzertbesucher verschwunden. Im Saal wird umgebaut. Eine riesen Diskokugel aufgehangen. Mich verschlägt es zum Merch-Stand. Die Mitglieder der Vorband unterhalten sich mit Grüppchen von Personen. Vor mir möchte ein Mädchen ein T-Shirt mit Karte bezahlen. Was aber nicht geht. Und schnell entbrandet mit ihrer Mutter eine Diskussion, wer jetzt zum Geldautomat sprintet und ein paar Scheine abhebt, bevor der Club geschlossen wird. (In der Handlung etwas vorgegriffen, kann ich sagen, dass sie sich nicht einigten und T-Shirt-los den Heimweg antraten.) 

Ich kaufe mir ein kleines Poster, weil ich keine 15 Euro für ein großes habe. Stelle aber zu spät fest, dass es gar nicht von dieser, sondern der UK Tour 2018 ist.

Langsam aber sicher werden die verbleibenden Fans zum Ausgang gedrängt. Ich stelle meinen vollgestopften Beutel auf dem dunklen Ledersofa im Eingang ab und beginne, mir demonstrativ langsam den Pullover überzustreifen. Schal und Jacke anzulegen. Und das Plakat gerollt zu verstauen. Dabei fällt mir ein weiteres Mädchen mit ihren Eltern ins Auge, die sich mit dem Sänger von Will and the People unterhält.

Sie knetet eine Wasserflasche in ihrer Hand und wendet sich dann aufgeregt ihren Eltern zu, als der Sänger im leeren Saal verschwindet. Fetzen, die ich von dem Gespräch aufgefangen habe, tragen mich zu der Dreierkonstellation. Ich frage, ob sie den Sänger beauftragt hat, Barns zu holen. Mit einem hektischen Nicken bestätigt mir das Mädchen meine Vermutung und ich muss grinsen.

Hoffung auf ein Wiedersehen

Es ist klar, dass die vereinzelten Leute, die jetzt noch hier herumdümpeln, auf die Chance warten, den Star des Abends persönlich zu treffen. Sich von ihm ein T-Shirt, Poster oder die Setlist signieren zu lassen. Oder ein Foto zu machen. So auch ich. Doch diese Hoffnung zerbricht bei dem Mädchen mit ihren Eltern, als wir nun vollends aus dem Gruenspan geworfen wurden. Ein letztes Mal schlägt sie verzweifelt ihre Wasserflasche in die Hand und geht dann. Ich bleibe. Draußen warten noch zehn, fünfzehn Leute. Der Lady Gaga Fan ist nicht dabei.

Ein Gesicht kommt mir trotz dessen bekannt vor. Das habe ich schon bei der Berlin-Show gesehen. Und so gehe ich kurzerhand darauf zu. Ich finde heraus, dass sie bei so einigen Barns Courtney Konzerten war. Unter anderem auch einem Spezial-Showcase im Universal Büro. Dort lernte sie wiederum jemanden kennen, der nun ebenfalls in unserer Runde steht. Ich unterhalte mich mit beiden über das Thema des Abends – Konzerte. Auf welchen man schon war, auf welche man gehen sollte. Eine vierte Person in unserer Runde bringt Anekdoten von Barns Courtney Shows an, da sie ebenfalls zu einigen Termin hinterherreiste. Auch mal im selben Hotel wie die Band übernachtete und diese dann beim Frühstück traf.

Es war spät. Und kalt. Ungeduldig tappen wir vor verschlossener Tür umher. Die Leute, die bis jetzt noch hier stehen, werden nicht gehen.

Hartnäckig und mit dem Gewissen, dass Barns und die Jungs ja irgendwo rauskommen müssen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Da mein Bus aber eh erst in drei Stunden fährt, macht es mir nichts aus zu warten. Dann endlich. Wir hatten uns in einen windgeschützten Hauseingang zurückgezogen und merken, wie es nebenan kleinen Aufruhr gibt. Ich schaue um die Ecke und sehe. Ja genau. Barns Courtney wie er, ein Telefonat vortäuschend, vor die Tür des Clubs geht und dann gespielt überrascht „auflegt“, da ja Leute auf ihn warten. 

Sofort erhellen sich alle Gesichter. Meine Gesprächsrunde löst sich auf und die einzelnen Personen finden sich beim Schlagzeuger und Gitarristen ein. Ich hingegen bleibe in der Nähe des Sängers. Er wird von allen Seiten um Unterschriften gebeten. Ein Typ, der zur Crew gehört, den ich aber nicht genau zuordnen kann, bietet seinen Dienst als Fotografen an. Handys werden ihm gereicht. Bilder geknipst. Während er auf verschiedensten Mobiltelefonen den Auslöser drückt, betont er, dass die Band nicht mehr so lang Zeit hat. Deshalb ergreife nun auch ich die Gelegenheit. 

Und schon hält er mein iPhone mit dem Parcels Sticker auf der Hülle in der Hand.

Ich lächele den Sänger an und Barns fragt mich, wie es mir geht. Völlig überfordert mit der Situation antworte ich, dass ich das Konzert geil fand. Ich strecke ihm meine Setlist aus Berlin entgegen und da er nur einen weißen Marker hat, unterschreibt er sie mir auf dem schwarzen Taperest. Als ich meine Sprache wiedergefunden habe, erzähle ich noch, dass mich mein erster Konzertbesuch vorgestern so beeindruckt hat, dass ich heut spontan nach Hamburg gefahren bin. Und definitiv nicht enttäuscht wurde.

Dann lassen wir ein Foto machen. Oder mehrere. Der Typ mit meinem Handy gibt Regieanweisungen. Irgendwas mit „3D-Effekt“ und dass Barns „mal seinen Finger der Kamera entgegenstrecken soll“. Indessen frage ich mich, ob dann nicht die Hand das Gesicht verdeckt. Vielleicht sieht man mir das auf den Fotos später an. Jetzt ist Barns dazu übergegangen die Krallen auszufahren. 

Ich höre nur ein „du bist ein Tiger“ von dem Foto-Typ.

Neun verwackelte oder anderweitig unscharfe Bilder später, bekomme ich mein Handy zurück. Ein Blick durch die Runde verrät mir, dass ein paar der Wartenden bereits glücklich mit Foto nach Hause gingen. Meine Bekanntschaften stehen immer noch beim Schlagzeuger. Also geselle ich mich dazu. In der Hoffnung, die nächsten Stunden nicht allein im McDonalds auf den Flixbus wartend verbringen zu müssen. Und das musste ich weiß Gott nicht. 

Fangirls und ein Irish Pub

Denn kurzerhand wurde die Fotosession beendet und die Band löst sich von den letzten Fans. Sie gehen die Straße der Großen Freiheit runter. Ziemlich zügig. Die beiden Mädels von vorhin und ich setzen uns in Bewegung. Auf meinen fragenden Blick hin, sagen sie mir, dass wir jetzt einfach hinterhergehen. Okay klar, folgen wir denen einfach. Ist ja nicht so, dass ich das nicht schon tausend Mal gemacht hätte (natürlich ironisch gemeint).

Im Laufschritt geht’s durch die neonbeschienene Straße. Partygänger*innen wurde gekonnt ausgewichen, ohne die Jungs und Barns Courtney aus den Augen zu lassen. Was dank seiner bunt bestickten, schwarzen Lederjacke nicht so schwer war. Mit einem Seitenblick nehme ich wahr, dass außer uns nur zwei, drei andere Fans neugierig mitkamen.

Mittlerweile haben wir den Beatles-Platz erreicht und biegen rechts ab. Jemand macht einen Witz, dass die Band insgeheim nur einmal um den Block geht, um zu gucken, wer ihnen so hinterherkommt.

Doch dann nähern sie sich einem Eingang neben dem Molotow. Einem Irish Pub & Club. Eine Stimme in meinem Kopf sagt mir, dass jetzt der Abend vorbei ist. Als ob wir dort mit reingehen. Doch genau das tut meine Begleitung. Die beiden erklimmen die Stufen zum Pub. Und ich tue es ihnen nach. Kurze Zeit später stehen wir zwischen Tresen und Sitzecke, in der Barns Courtney jubelnd begrüßt wird. Im Hintergrund spielt Wonderwall von Oasis. Ich fühle mich fehl am Platz. Irgendwie ist es mir unangenehm, hier hereinzuplatzen. Ich meine, gerade standen diese Leute noch vor mir auf der Bühne und nun bin ich zusammen mit ihnen in einem Irish Pub? 

Der Aufenthalt sollte nicht nur von kurzer Dauer sein, denn die Mädels legen ihre Jacken und Taschen ab. Ich ziehe kurzerhand meinen Pullover wieder aus, da er mir nicht tauglich erscheint. Alles in den Beutel gequetscht, stelle ich diesen nun in einer Ecke ab. Irgendjemand wird im Verlauf der Nacht sein Bier drüber schütten, sodass ich im Bus später vollends nach alter Kneipe rieche. Generell gehen noch einige Gläser zu Bruch. Und meine Schuhe kleben an den Getränkeresten.

Mr. Brightside

Etwas verloren stehen wir nun herum, bis jemand beschließt, Getränke zu holen. Ich nehme eine große Cola. Irgendwie will ich ja noch wach bleiben. Ein, zwei Mal an dem Getränk genippt, geht es auf die kleine Tanzfläche vor dem DJ-Pult. Die Band ist bereits da, Barns Courtney und noch ein paar andere, die ich nicht ganz zuordnen kann. Und dann. Naja. Dann tanzten wir dort. Zu einer wilden Mischung an Songs. In dem kleinen Raum wuseln wir wie ein unkoordinierte Gruppe umeinander. Mr. Brightside spielt. Und das erste Mal singt wirklich jeder mit. Ich weiß nicht, wem ich gerade euphorisch die Lyrics entgegenschreie. Alle sind offen und deutlich dabei, den Abend zu genießen.

Die aus künstlichen Spinnennetzen bestehende Halloweendeko wird bald dazu benutzt, die Tanzenden zu umwickeln. Immer wieder lässt sich einer der Jungs hochheben. Wird dann kurze Zeit auf Armen durch den Pub transportiert. Ich schaue mich um, wo der Träger der bestickten Lederjacke abgeblieben ist. Nur um dann innerlich Auszurasten, wenn Barns Courtney zwei Meter weiter neben mir zu Sexbomb tanzt.

Jemand äußert sich zur der Songauswahl: „I can’t believe they’re really playing this song.“ Bevor die ironischsten Moves und der bekannte Refrain für Vergnügen sorgen. Als die Melodie langsam zu Low von Flo Rida überblendet, gibt es einen Aufschrei. Dann bouncen alle im Rhythmus durch den Raum. Zum „Shawty got low low low low…“ kommen wir Stück für Stück dem Boden näher.

Fangirls geben den Boys Bier aus. Zum Rauchen verschwindet die Band nach draußen. Wir bleiben drinnen und warten auf die erneute Zusammenkunft bei Teenage Dirtbag. Alle schwelgen in den Lyrics. Kann ich das glauben? Nicht wirklich. Bis jetzt noch nicht. Es fiel mir schwer nach zwei Stunden zu gehen. Vielleicht war es das Krasseste, auf jeden Fall das Spontanste, was mir in letzter Zeit eingefallen ist.