ZWISCHEN ENTZÜCKEN UND EUPHORIE

Der Teller setzt sich langsam in Bewegung, als ich vorsichtig den Tonarm senke und sich die Nadel des Plattenspielers perfekt in die Rillen des milchig-weißen Vinyls einfügt. Und obwohl dieses musikalische Schmuckstück erst seit Kurzem meine Sammlung bereichert, wirkt es doch wie ein alter Bekannter, dessen geschätzte Gesellschaft mit offenen Armen empfangen wird.

Die ersten Töne bahnen sich ihren Weg durch die Lautsprecher. Rauer Gitarrenklang. Schlagzeug. Eine durchdringende, entrüstet klingende Stimme singt:

„Why do you stop by / Why do you call in / When you know I won’t rest my head tonight“

144 Stunden früher:

Diese Nacht werde ich genauso wenig zur Ruhe kommen wie in der besungenen Liedzeile. In Berlin vor den Türen des Privatclubs wird es lebendig. Eine kleine, vorwiegend aus weiblichen Personen bestehende Menschentraube blickt dem Eingang der Location entgegen, die der heutige Austragungsort einer ausgelassenen Feier sein soll. Was denn zelebriert wird? Record-Release. 

Doch der erst um 24 Uhr. Vorher gibt es ein exklusives Konzert. Nicht anders als erwartet, ist meine Wenigkeit auch mit von der Partie – platziert in der ersten Reihe. So nah am Geschehen, dass die Erinnerung auf Video aussieht, wie eine „Schweißtropfen-an-Schweißtropfen“ Experience. Wahrscheinlich sah es nicht nur so aus.

Die vier Hauptakteure diesen Abends entflammten mit ihrem dynamischen, ergreifenden Indie-Rock beim Publikum Faszination und präsentierten in euphorischem Umfeld die neuen Songs.

Gekennzeichnet durch eine intensive Stimme, beständigen Rhythmen und eingängigen Melodien, überzeugen diese die Zuhörer und bieten nicht nur Tanzgrundlage, sondern auch Ohrwurmpotential. „I wish that I could sleep but all my demons defeat me“

140 Stunden früher:

Statt Dämonen lassen mich meine angenehmen Erinnerungen an den vergangenen Auftritt nicht schlafen. Ich sitze wieder zuhause, gute achtzig Kilometer entfernt vom Privatclub – gedanklich jedoch direkt vor Ort. Wo genau jetzt wahrscheinlich auf die frisch veröffentlichte Platte angestoßen wird. Nocturnal. Am 8.9.17 um 00:00 Uhr.

Doch die für die nächsten Tage tief in den Knochen sitzende Freude ließ mir keine Zeit zum Trübsalblasen oder wehmütiges in-die-Dunkelheit-Gestarre. Und außerdem war zwischen der ganzen Post-Konzert-Euphorie noch gespannte Erwartung auf mein eigenes Exemplar des Albums, welches schon heute ankommen soll. 

124 Stunden früher:

Um mich herum liegen Fetzen aus Pappe und Folie.

Mein Entzücken über diese langersehnte Sendung ließ den Postboten verstört an unserer Pforte zurück. Jetzt halte auch ich das Objekt der Begierde endlich in den Händen und möchte bei dieser Gelegenheit anbringen, wie wunderschön ich die Aufmachung finde. Damit meine ich nicht nur das Albumcover. Das ganze Konzept. Well-Done.

Jetzt, 13.9.17 um 20:00 Uhr:

Nocturnal – das zweite Album von RAZZ dreht bei mir die hundertste Runde auf dem Plattenspieler. Lieblingslieder? Alle. Ich – schon in Gedanken beim nächstem Konzert, wo ein Konsum dieser Songs aus erster Hand meinen Hype wieder um hundert Prozent bestätigen wird. Vielleicht schon im Dezember, Leipzig, Cottbus. Oder später. Hamburg. Rostock. Bremen. Berlin. Wer begleitet mich?