PRINTMAGAZINMÄDELS

Der Blick heftet sich auf den Display vor meinen Augen. Das halbe Leben ist im Internet. Digitale Magazine, Videointerviews. Ein Fingerwischen und die Buchstaben ziehen an dir vorbei. Hier blinkt Werbung auf, da kommt eine Chatbenachrichtigung ins Fenster geslided. Wie wäre es zur Abwechslung mit einem gedruckten Heft? Doch wer macht sich heutzutage noch den Aufwand, ein Printmagazin auf die Beine zu stellen? Und warum?

Das Internet ist voll mit guten Inhalten. Was uns fehlte, war die Zeit sie zu konsumieren. Print zwingt uns dazu, das Handy wegzulegen und uns auf eine Sache zu konzentrieren.

Es ist vielleicht das, was am nächsten an „mit den Händen arbeiten“ dran ist, wenn man mit Gedanken arbeitet. Wenn man als Schreibende*r nicht gerade Bücher veröffentlicht, hält man sonst selten etwas in der Hand, nachdem man mit der Arbeit fertig ist.

Ich war damals 15 Jahre alt, als ich eine Bucketlist geschrieben und an meinen Spiegel geklebt habe. „Ein eigenes Magazin“ stand darauf. Jahre später schien der Wunsch umsetzbarer und somit ging die Arbeit für das erste Printmagazin los.

Und in diesen großen Haufen an Arbeit stürzten sich Melanie, Vanessa, Sara und Lea. Es entstanden drei unterschiedliche, vor allem unabhängige Magazine. Über Musik: b-seite und house in the sand, sowie Allerlei: PEEING IN THE SHOWER. Die drei Parteien wagen sich mit ihren Ideen in für sie bisher unbekanntes Terrain – ein erstes eigenes Printmagazin – und stehen damit vor so einigen Fragen:

Wie soll das Magazin aussehen?

Wie vergüte ich die Autor*innen und Mitwirkenden?

Welche Themen wollen wir behandeln?

Was mache ich, wenn mir ein eingereichter Beitrag nicht gefällt?

Wie wollen wir das finanzieren?

Werden wir das jemals schaffen?

Am meisten aber haben wir uns gefragt, ob das alles irgendjemanden außer uns selbst interessiert.

Doch bis die gedruckten Seiten auf die anvisierte Zielgruppe losgelassen werden – die Konzertgänger*innen, Merchkäufer*innen und Spotify-Premiumkund*innen, die Musikfans und Musiker*innen selbst, die Deutschlehrer*innen, Großeltern und alle Leute, die einfach mal ihre Ruhe haben und sich überraschen lassen wollen – bis das fertige Heft von all jenen in den Händen gehalten werden kann, wird hinter den Kulissen geschuftet, was das Zeug hält.

Wir haben gelernt: Wie man ein Unternehmen gründet. Wie man ein Unternehmen gründet, während man Vollzeit arbeitet. Wie man ein Unternehmen gründet, während man Vollzeit arbeitet und täglich drei Stunden pendelt. Wie der Kosmos Musikindustrie funktioniert, wie man InDesign benutzt und welche Datei die Druckerei braucht, damit am Ende der richtige Glanzlack auf dem Cover ist. Wir haben kein professionelles Equipment, Lea hat das ganze Ding auf ihrem 14-Zoll Laptop ohne Maus und zeitweise auch ohne Schreibtisch designt.

Von der ersten Mail bis zum Release waren es etwa vier Monate, in Stunden wahrscheinlich 100, die ich reingebuttert habe. Und das sind nur meine, jeder Beitrag braucht ja auch Zeit zum Entstehen.

Es ist unheimlich viel Aufwand. Wir arbeiten monatelang an den Ausgaben, müssen für die meisten Shoots reisen. Das Magazin erarbeite ich mit meinem Kumpel und Grafikdesigner Chris Stringer und zu zweit ist der Arbeitsaufwand echt groß.

Und wie bei so einem Projekt zu erwarten ist, geht nicht immer alles glatt. Es wird gezweifelt, ob die alte Spiegelreflexkamera für das Covershooting noch durchhält (was sie zum Glück tut). Probleme mit der Druckerei beeinflussen die Lieferzeit. Oder Leute, die zuerst begeistert zusagen, reichen im Nachhinein doch keinen Text ein. Vielleicht verpulvert man auch die ganze Arbeit für nichts, wenn das Crowdfunding am Ende scheitert. Wenn mal gar nichts klappt, dann hilft nur eins:

Laptop zu, Schuhe an und an die frische Luft. Auf dem Rückweg Take-Away holen, dann Gilmore Girls oder Queer Eye schauen und bloß nicht über die b-seite reden.

Meist reicht schon ein Wort, um uns gegenseitig aufzumunter – denn wenn wir teilweise bis spät in die Nacht arbeiten, kommt immer dieser Punkt des Deliriums, an dem alles lustig wird und die besten Insiderwitze entstehen.

Aber wie sagt man so schön, wo man den steinigen und steilen Berg mit Schwierigkeit erklommen hat, kann man am anderen Ende schwungvoll hinunterrutschen. Und damit meine ich all die Dinge, die bei der Realisation des Magazin einfacher von Hand gingen, als gedacht. Das war zum Beispiel:

Die Kommunikation mit Labels, Managements und Künstler*innen! Wir waren echt begeistert, wie super das geklappt und wie involviert alle Parteien waren. Gerade die Fotoshoots, die wir selbst übernommen haben, liefen problemlos ab.

Der Verkauf! Ich hätte gedacht, dass die Leute dem Bezahlsystem misstrauischer gegenüberstehen (es handelt sich um pay what you what und dann auch noch via PayPal) und dass es schwerer wird, alle Hefte loszuwerden. Außerdem: Die Leute im Internet, vor denen man Angst hat, weil sie so cool aussehen, die sind genauso einsam/verzweifelt/voller Durst nach Nähe/Tatendrang wie man selbst und bisher hat niemand, den ich angeschrieben habe, nein gesagt. Die Leute wollen mitmachen, man muss nur fragen.

Problem und Lösung. Schreibblockade und Textfluss. Tief und Kreativität. De- und Motivation. All dies haben sie überwunden. Sara und Lea halten ihre b-seite in der Hand (und arbeiten gerade an der zweiten Ausgabe), Melanie ging vor kurzem mit dem PEEING IN THE SHOWER Zine in eine zweite Ausgabe und Vanessa kann ebenfalls bereits zwei eigens konzipierte Hefte verzeichnen. Was ist das schönste am gesamten Prozess?

Wenn man die Druckfreigabe erteilt hat und den Laptop zuklappt, wenn sich die Kisten im Wohnzimmer stapeln und wenn uns Leser*innen ihr Feedback schicken. Wenn man begreift, dass es da draußen wirklich Leute gibt, die sich mit dem, was man da gemacht hat, beschäftigen.

Der Moment, wenn der Druck geliefert wird und man seine Arbeit zum ersten Mal in den Händen hält. Aber tatsächlich freue ich mich mehr, wenn die Leser*innen und Musiker*innen, die im Magazin gefeatured sind, die Ausgaben erhalten.

Der Releasetag! Die erste Bestellung! Wenn die Mitwirkenden das Magazin und die anderen Teammitglieder zum ersten Mal sehen und sich neue Bande bilden! Und auch ganz vorn auf der Liste: Wenn der Zyklus endlich wieder vorbei (ausverkauft, das letzte Heft verschickt, Promo abgeschlossen) ist.

Mit diesem geschlossenen Zyklus, endet ein ganzer Abschnitt. Dann ist das Projekt in neuer Obhut. Die der Leser*innen. Die oben angesprochene Zielgruppe und vielleicht auch ganz unerwartete Gesichter, die nun die Seiten ihrer Ausgabe vor sich haben. Augen fliegen über bedrucktes Blatt. Und sie sehen, ja was genau?

Hoffentlich sehen sie Herzblut und Leidenschaft in Verbindung mit interessanten Themen, schönen Bildern und guten Geschichten. Sie sehen nicht die unzähligen Nächte und Wochenenden, die Autofahrten nach Frankfurt, bei denen die Beifahrerin morgens geschlafen und auf dem Heimweg an der b-seite gearbeitet hat. Sie sehen auch nicht, die Verzweiflung, weil keiner von uns beiden weiß, wie man DIESE SCHEIß FARBKANÄLE IN INDESIGN EXORTIERT oder wir uns Sorgen machen, aus einem Termin ohne vernünftige Fotos rauszugehen. Und hoffentlich auch nicht, welche Arbeit hinter der Vermarktung steckt, wenn man alles ohne Werbebudget macht.

Sie sehen 80 Seiten, gefüllt mit Geschichten aus sämtlichen Ecken der Musikindustrie. Sie sehen hoffentlich, wie viel Liebe zum Detail drin steckt. Was sie nicht sehen, sind die Schreibkrämpfe, die wir haben, wenn etwas nicht klappt.

Sie sehen hoffentlich Unterhaltung, viel Fantasie und eine Alternative. Was sie nicht sehen, ist die Arbeit im Hintergrund. Sie sehen nur das Papier vor sich und bewerten monetär oft auch nur das.

Ihre ersten eigenen Printmagazine waren ein Erfolg. Das erklärt die jeweiligen zweiten Ausgaben. Am Ende überwiegen die schönen Momente, der Wille eine Alternative zu schaffen. Eine Alternative für all die unruhigen Internetseiten, weg von Massenprodukten hin zu etwas Handgemachtem, zu kleinen Lesekreisen und realem Austausch. Print ist auch in unserer Online-Welt noch immer im Gespräch. Und wird es bleiben, denn:

Für uns hat Print einen ähnlichen Stellenwert wie Analogfotografie oder Schallplatten: Es gibt moderne Alternativen, die fühlen sich aber nicht so gut an. Es wird immer Leute geben, die frisch bedrucktes Papier ihrem schmierigen Handydisplay vorziehen. Nicht für tägliche Nachrichten, sondern für schöne Dinge, für die man sich bewusst Zeit nehmen will.

Ich nehme Magazine unheimlich gern mit auf Reisen. Deswegen ist Print für mich ein treuer Begleiter.

Ich lese gern ein schön gemachtes Magazin, ich möchte ein schön gemachtes Magazin anbieten. Es geht auch darum, einen Unterschied zu machen, zu dezentralisieren, die Besteller*innen wegzuholen von den seelenlosen Outlets und hin zu echten Menschen wie meiner Crew oder ähnlichen Produkten.

So ist das mit den Printmagazinen. Oder zumindest mit denen von Melanie, Vanessea, Lea und Sara. Die Printmagazinmädels, die mit diesem Einblick ein kleines Geschmäckle geben, wie es ist, ein eigenes Heft auf die Beine zu stellen. Zeit, für einen kurz und knackigen Recap?

Vorher war uns nicht klar, dass viele wichtige Menschen mit dir sprechen, wenn du einfach fragst. Und im Nachhinein hätten wir auf den Glanzlack auf dem Cover verzichten können, der war nämlich richtig teuer

Vorher war uns nicht klar, dass die Arbeit so lange dauern würde. Und im Nachhinein hätten wir auf die Sponsorensuche verzichten können.

Vorher war mir nicht klar, dass es so einfach ist, ein Magazin zu machen. Es ist viel Arbeit, aber es ist keine komplizierte oder schwere Arbeit. Es ist vor allem Fleiß. Satz, Druck, Vertrieb – das kann man alles relativ einfach lösen.

Dabei darf man nicht vergessen,

dass uns die b-seite immer noch Spaß machen soll. An manchen Abenden ist Phase 10 wichtiger als ein Instagram-Post.

dass es unfassbar viel physische, aber auch emotionale Arbeit ist.

dass die Musikindustrie sehr schnelllebig ist.

Und zu guter letzt:

Ohne

Eigeninitiative

Kommunikation

Risiko und Apfellinge

funktioniert gar nichts.

Vielen Dank an Sara und Lea von der b-seite, an Melanie vom PEEING IN THE SHOWER Zine und an Vanessa von house in the sand für die Einblicke hinter die Kulissen des Making-of eines eigenen Printmagazins!