19€ PLATTENKRITIK

Ein schöner Samstag zum Spazieren gehen. Für November ist es eigentlich zu mild, durch die weiße Wolkendecke brechen vereinzelt Sonnenstrahlen und wärmen meinen Rücken. Ich hätte mir heut keinen Mantel überwerfen brauchen, Opas ausrangierte Lederjacke hätte es auch getan. Mit großen Schritten laufe ich am Kanalufer entlang, um kurz nach eins ist hier noch nicht so viel los. Fast. Rot-weißes Flatterband und Blaulichter versperren meine übliche Spazier-Route und ich muss Richtung Bergmannkiez ausweichen. 

Ab und an streife ich auch zwischen den Wohnhäusern entlang und sehe mir vom Bürgersteig aus fremde Balkone an. Während ich die Häuserfassaden der Mittenwalder Straße betrachte, erinnere ich mich, nicht weit von hier einen Plattenladen gesichtet zu haben. Ich meine nicht die Space Hall. Sondern einen kleinen Keller zwei Ecken weiter. Dort hängen bunte Platten als Girlande aufgefädelt vom Eingang zur nächsten Straßenlampe. Schwarze Scheiben zieren die untere Etage des Gebäudes und ein Mann mit runder Brille sitz hinter dem Tresen. Sound Vinyl Store.

Ich entscheide mich, dem Laden einen Besuch abzustatten. Es ist eh viel zu lang her, als ich das letzte Mal Schallplatten Shoppen war. Und vielleicht ist es wieder an der Zeit, Musik ganz old-school zu entdecken. Bei einem Blick in die erste 4€ Kramkiste weiß ich bereits die Antwort auf diese Frage. Also stelle ich mir einen Stapel zusammen, eine Maxi-Single, einmal ein Griff in die 3€ Hiphop-Kiste und ein Griff in den Surf Rock Stapel, der jedoch wohl nicht als solcher angesehen werden kann, da vermehrt Elvis’ Christmas Album darin auftaucht. 

Mein Budget habe ich mit 20€ genau getroffen, als der Mann an der Kasse die Preisaufkleber begutachtet und ich halte ihm einen Schein hin. Zu meinem Überraschen zieht er jedoch ein Schubfach seines ramponierten Holztisches auf, in dem neben zerknüllten Zetteln und Brillenetui ein bisschen Kleingeld umherrollt. Er holte eine Münze heraus, „machen wir 19€ draus“. Und schiebt mir meinen Plattenstapel über den Tisch entgegen. Ganz erfreut über meine Ausbeute verabschiede ich mich und mache mich auf den schnellsten Weg nach Hause. Let’s see, ob sich der Kauf auch gelohnt hat.

Die britische Rockgruppe Transvision Vamp mit ihrem Debütalbum Pop Art. Der Bandname und der Kontrast zwischen schwarzem Albumcover mit pinker Schrift, die sich farblich in den Handschuhen der Sängerin Wendy James wiederfindet war Grund genug für einen Kauf. Genau wie die vielversprechenden Songtitel Trash City, Psychosonic Cindy oder Revolution Baby. Schon beim Auflegen der Scheibe auf den Plattenspieler weiß ich, dass ich nicht enttäuscht werde.

Computerverzerrte Stimmen leiten das erste Stück ein. „The rules are… There are no rules“ ertönt der ebenfalls auf der Coverrückseite abgebildete Leitspruch des Albums. Im weiteren Verlauf bringen mich schrill-flippiger Gesang, 80s Drums und eine Portion Gitarrenrock zum Tanzen. Sogar der erste Top-Ten-Hit das Quintetts in Lederjacken ist auf dieser Scheibe: I Want Your Love. Das rosafarbene Plattensleeve bildet die Songtexte ab, falls ich mitsingen möchte. Bei der The Kinks Referenz im fünften Stück der A-Seite muss ich schmunzeln. Also Daumen hoch für den ersten Höreindruck.

Balaam and the Angel mit ihrer Maxi-Single Love Me. Es sind noch drei andere Songs auf der Platte, die in gelber Pappe steckt. Auch hier rankt sich ein pinker Farbkontrast über das Cover. Und wie sich nach den ersten Tönen und einem Blick auf das Aufnahmedatum herausstellt, habe ich auch hier die musikalischen 80er Jahre vor mir. Nicht mit ganz so viel Ohrwurmpotenzial wie bei Transvision Vamp ergießen sich die Klänge. Ein dumpfes Schlagzeug, helle Gitarren an denen der Hall haftet. Der Gesang erscheint, ohne auf die Worte zu achten, entrüstet und etwas düsterer als das Coverdesign vermuten lässt. Ich dachte, ich hätte es mit einer psychedelischen Band zu tun. Jetzt ist es eher eine Inspiration, die Drangsal für Harieschaim hätte nennen können. Wikipedia sagt, das Trio kommt aus Schottland und macht Rockmusik/Glam Metal/Gothic Rock. Auch hierfür gibt es ein Daumen nach oben. 

Als nächstes habe ich eine deutsche Band auf dem Teller. Mint Addicts, die später nur als The Mint weitermusizieren, und ihr Album naked eyes. Die Augen der Bandmitglieder sieht man auch auf der Rückseite des Plattencovers. Und ohne darauf zu achten, habe ich das dritte Mal nach einem Stück aus den 80ern gegriffen. Wenn ich darüber nachdenke, gibt es auch hier wieder pinke Farbkontraste im Design, vielleicht hat mich mein Unterbewusstsein ein bisschen ausgetrickst. Doch warum ich diese Platte aber eigentlich ausgewählt habe, war die Zuordnung eines Untertitel zu jedem Songnamen. Beispielsweise Psycho III und „help yourself“, Horizon und „it’s not the time for great parties“ (wie wahr) oder Eight Dark Suits und „the velvet gentleman – guess his name“.

Alles in allem ein stimmiges Album, dessen Ursprung ich nicht in Hannover verortet hätte. Teilweise mit lockeren Melodien, dann dunkler Stimme oder verkrampftem Gesang (bestimmt zum Psycho Song gehörend). Ich werde mir auf jeden Fall noch ein zweites Mal anhören, was Rüdiger, Holger, Emilio und Peter da im Snow Hill Studio aufgenommen haben. Einen Daumen nach oben, und weiter zur nächsten Platte.

Wer hätte es geahnt. Ich wende mich meinem, nach diesem Plattenkauf beurteilt, Lieblingsjahrzehnt noch nicht ab. Doch aus Rock und Gitarren werden Breakbeats und Hiphop. Rappers Convention mit ihrem selbstbetiteltem Album. Die Erscheinung dieser Platte ist gar nicht mal so schön, doch ich steh’ auf alten 80s Hiphop und das Foto auf der Rückseite des Covers, das zwei Typen und eine Frau in ihrer Mitte abbildet. Und schon beim ersten Song bin ich überzeugt, als der melodiöse Sprechgesang beginnt und doppelt überzeugt, als beim dritten Track das Mädel zu einem stupid freshen“ Beat rappt. Am liebsten würde ich zwei Daumen nach oben für das Album geben. Nach drei Mal Rock, lässt es sich jetzt zu „it’s the wiggle, the wiggle, wiggle wiggle wiggle“ noch besser durch die Stube bouncen. 

Katrina and the Waves mit ihrem Album Waves. Hier kann ich verraten, dass ich tatsächlich nur 80er Jahre Alben gekauft habe. Dass Katrina and the Waves mit dem Hit Walking on Sunshine berühmt geworden sind, habe ich nicht gewusst. Also bin ich recht überrascht, als eine energiegeladene Frauenstimme zum ersten Stück ansetzt. Direkt von Is That It? gecatcht, zweifle ich direkt an dem Zufall, dass mir bis jetzt alle Blindkäufe gefallen haben.

Und zack, der zweite Song setzt an und ich muss mit enttäuschen feststellen, dass die Musik sich etwas von meinem Geschmack entfernt. Zu lieblich und Schlager-esk, nicht komplett unhörbar. Aber auch kein Favorit, was habe ich auch bei einem Cover erwartet, wo die Bandmitglieder vor Stranddünen im Hintergrund durch die Luft fliegen. Dafür gibt es nur einen Mittel-Mittel.

Auf zum letzten guten Stück. Ein selbstbetiteltes Album von der Band B.Sharp. Als ich das Plattencover zum ersten Mal auf die Rückseite drehte und mir von schwarzem Hintergrund der weiße Schatten eines schreienden Typen entgegenblickte, wusste ich, dass ich dieses Stück kaufen muss. Laut Discogs sind B.Sharp eine Rhythm and Blues Gruppe aus Hamburg. Ganz entfernt sagt mir der Name etwas, doch ich kann es keinem Klang zuordnen. Als ich dann beim Auflegen der Scheibe direkt von einer Mundharmonika eingehüllt werde, macht es Sinn. Die Platte ist rockig und die Drums animieren zum Mitwippen. Doch es ist nichts besonderes, kein Funke vorhanden, der mich so richtig packt. Also auch hier nur ein Mittel-Mittel.

Im Großen und Ganzen bin ich mehr als zufrieden mit meinem Plattenzuwachs. Einige Stücke sind gar nicht auf Spotify verfügbar und wie hätte ich sie sonst entdeckt? Es folgt noch ein Ranking von Platz eins bis sechs nach persönlichem Gefallen der einzelnen Alben (und der Maxi-Single) und die dazugehörige Preisauflistung:

  1. Transvision Vamp – Pop Art (4€)
  2. Rappers Convention – Rappers Convention (3€)
  3. Balaam and the Angel – Love Me (2€)
  4. Mint Addicts – naked eyes (4€)
  5. B.Sharp – B.Sharp (3€)
  6. Katrina and the Waves – Waves (4€)