VON UNERREICHBAR – UND GREIFBARKEIT

Ein glockenhelles Knistern erfüllt die Luft. Elektrisierende Spannungen im Raum, die genauso gut ausgesandte Signale eines fernen Sterns hätten sein können. Doch der Ursprung dessen ist greifbarer als jeder Himmelskörper, der heut die Nacht erleuchtet. Und dennoch nicht so nah wie die Instrumente vor mir vermuten lassen, denen dieser Klang entstammt. 5000 Meilen entfernt.

„Ich merke, dass ich anders Musik mache, wenn ich in anderen Ländern war, mit anderen Menschen gesprochen und den Kopf gelüftet habe.“

Im sich intensivierenden Scheinwerferlicht beginnt so ein Auftritt. Bühne frei für LUI HILL. Den Anfang macht, was auch das Album eröffnet. Zwischen Neonröhren und Zwielicht auf der Reeperbahn. Unter der Woche, es ist Donnerstag. Neben bekannten Gesichtern auch fremde, die neugierig durch den schweren Vorhang ins Häkken spähen. Einen Schritt in den Raum, das nächste Lied wird angestimmt.

„Ich mag Hamburg sehr. Hier habe ich auch ein halbes Jahr gewohnt und bin mit dieser Stadt irgendwie verbunden. Da freue ich mich auf jeden Fall heute Abend hier zu spielen.“

Den Auftakt der Tour hinter sich und positive Resonanz aus Berlin stärkt den Rücken. Wind in den Segeln für eine Reise über Distanzen zu Unerreichbarkeit, Träumen und neuem Zuhause. Der Rhythmus der Drums trägt die Füße, lädt zu einem Tanz. Begleitet von akustischen Souvenirs wird die Welt greifbar. Funken des einzigartig Echten zünden die Rakete computergenerierter Strukturen und bringen sie auf Kurs eines reizvollen Mittelwegs.

„Wenn sich beide Welten treffen – das Digitale und das Organische, Analoge – , dann wird die Musik für mich am aufregendsten.“

Aufregend auch für die Menschen, dessen Gesichter beim Blick zur Bühne leuchten. Bewegt oder innehaltend, das Publikum zusammengeführt zum gleichen Anlass. Die offensichtliche Gemeinsamkeit separiert den Einzelnen mit seinen Gedanken. Darin und in der Musik versunken, dessen Inspiration zurückführt auf Leute, Andere oder Unbekannte, sich selbst.

„Dieser fantastische Moment, den mag ich an Menschen. Wenn sie sich überschätzen und nach etwas greifen, wo sie noch lang nicht dran sind, aber glauben, dass sie es irgendwann erreichen.“

Die erste Station des Solo-Projekts wurde passiert. Ein selbstbetiteltes Debütalbum. Von Tagen zu Monaten zur fertigen Produktion. Liebe zum Detail und einer neuen Eigenständigkeit entgegen der demokratischen Bandvergangenheit.

Mit zehn Songs und zwei unterstützenden Musikern zieht LUI HILL nun in die Clubs des Landes ein. Aus Solo wird Trio. Gitarre, Synthesizer und Schlagzeug. Hier zeigt sich, dass Abdriften zum Weg gehört. Bei einem Instrumental-Intermezzo, das die Umgebung in ein okkultes Medium zu verwandeln scheint.

„Ich könnte mich natürlich auch allein auf die Bühne stellen, aber dafür bin ich zu sehr Musiker und brauche dieses Zusammenspiel zwischen Musikern.“

So bildet sich ein Klanggerüst, auf dem die Melodien im zweiten Teil des Sets balancieren. Anders als beim vorgelegten Album. Eine eingefügte Zäsur bringt den Hörer aus dem Gleichgewicht. Konfrontiert mit der Bedeutung von Heimat. Und ein betrunkenes Gespräch, das die Essenz hinter dieser Frage ehrlich herausstellt. Home could be anything.

„Ich fand den verstörenden Moment, in der Mitte der Platte keine Musik zu haben, interessant. Den Leuten vor den Kopf zu stoßen.“

Resonierend zu den Motiven der Songs fiel auch die Wahl des Covers. Warum nicht einen Satelliten? Themen, die um entfernte Orte kreisen. Etwas Geheimnisvolles im Timbre des Gesangs. Dunkelheit und Schwere messen sich an leuchtender Energie und auftreibender Dynamik. Ein eigens erschaffenes Universum, in dem die Kompositionen forschend den Weg bereiten. 

„Und mir war auch klar, dass wir nicht einfach ein Bild aus Getty Images nehmen können. Wir mussten den Satelliten schon selber bauen.“

Und aus den Teilen setzt sich stetig ein Werk zusammen. Konstruiert mit Bedacht, aus flachen Mustern Greifbares zu modellieren. Wie der Glanz des Satelliten die gleißende Sonne reflektiert, spiegelt sich die Handarbeit der Einzelheiten.

Verzweiflung und Euphorie. Die eigenen Ansprüche, Perfektionismus und der Produktionsprozess verschmelzen. Das Ende führt zu einem Anfang. Das Debüt nach Tagen im Studio in den Händen. Zum letzten Song färbt sich auch das Scheinwerferlicht gold-orange.

Dieser Text ist auf der Grundlage eines Interviews mit Lui Hill im Oktober 2018 vor seinem Konzert in Hamburg entstanden. Foto: Simon Hegenberg