HÜFTSCHWUNG UND ZEITREISE

Dass an einem Montag große Ungeduld von mir abfällt, da endlich die neue Woche beginnt, kommt wohl nicht so oft vor. Der erste April jedoch, war etwas Besonderes. Schon als ich am Morgen die Weser auf einer großen Brücke überquere, um im Bremer Weserburg Museum unter anderem eine Kunstausstellung anzusehen, weiß ich, dass heute ein guter Tag ist.

Die aufgehende Sonne glitzert golden im Wasser. Aus den Fenstern der menschenleeren Räume des Museums, das am Montag geschlossen hat, blickt man auf Sommererinnerungen. Der Effekt eines wolkenlosen Himmels. Warum sollte ich nur wenige Stunden später all den Lichtschein gegen Dunkelheit und Nebel eintauschen? Und wie kommt es, dass mich das ebenfalls glücklich macht?

Als ich den Weg zur Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg entlang schreite ist es kurz nach 18 Uhr. Vor dem Eingang wartet bisher nur eine beschauliche Gruppe.

Vielleicht zwanzig, dreißig Personen, von Sonnenstrahlen gewärmt. Türen werden geöffnet. Doch der „Ansturm“, wie die Crew ihn ironisch nannte, ebbt schnell wieder ab. Umso besser für mich. Nachdem meine Jacke für 2,50€ unnötigerweise einen Haken in der Garderobe fand, mache ich es mir bequem. So gut es eben geht, mit blankem Metall im Rücken und in einer Halle, die so viel Charme ausstrahlt wie eben eine schummrig beleuchtete Turnhalle, in der Teppich ausgelegt wurde.

Die blauen Plastiksitzplätze auf den Tribünen glänzen. Die Luft ist trotz der Nebelwolken, die unter der Decke hängen, kühl. Nach und nach trudeln mehr Besucher ein. Neue Personen und ein Dutzend Salzkrümel von den Brezeln, auf die man dann doch Appetit bekommt, wenn der permanente Geruch des Laugengebäcks in der Nase kitzelt. Doch nicht für mich. Ich sitze nach wie vor an meinem Platz. Dann erlöscht das spärliche Licht der Halle und findet sich in einem Punkt auf der Bühne wieder.

Gleichzeitig verändert sich das Bild des Sitzstreiks, oder eher kollektiven Picknicks zu einem Konzertpublikum, das mehr oder weniger gebannt dem One-Man-Act entgegenblickt, der nun die Bühne betritt.

Mit Gitarre und Basedrum, Callum Beattie steht darauf. „Ich bin ein Callum“. Jetzt weiß ich Bescheid. Überzeugen kann mich der schottische Songwriter jedoch nicht. Es mag sein, dass ich mich schon zu sehr auf den zweiten Supportact freue. Meine Aufnahmefähigkeit scheint in dem Moment für Melodien zu Gitarre und dem gleichförmigen Schlag der Trommel begrenzt.

Schräg hinter dem Sänger lenkt ein blank poliertes, spaciges Keyboardgestell meine Aufmerksam auf sich. Wie bereits am dritten Oktober im Terrace Hill. In Gedanken sehe ich schon die fünfköpfige Band vor mir, deren Name den Frühling quasi einleitet. Blossoms. Und lang zu warten, bis sich diese Vorstellung materialisiert, brauche ich nicht.

Nacheinander tritt das Quintett aus dem englischen Stockport hinter ihre jeweiligen Instrumente, Frontmann Tom Ogden das Mikrophon mit einer Hand umschließend.

Doch es folgt noch eine weitere Person dem Aufmarsch auf die Bühne. Ein Haarschopf, der sich nicht in die Einheit langer Frisuren einreiht. Trotzdem ist mir das Gesicht nicht unbekannt. Und während die ersten Takte von I Can’t Stand It erklingen, grübele ich, wo ich dem sechsten Teil der Band schon begegnet bin.

Atmosphärisch in Nebel gehüllt, Lichtkegel der Scheinwerfer zeichnen weiche Farbmuster in die Dunkelheit. Blossoms mittendrin und die Melodien ergießen sich in einem lieblich prickelnden Schwall an Nostalgie, Wehmut. Robuste Rhythmen begleiten die in Synthwolken gebettete, milde Stimme Ogdens.

Die Mimik des Sängers wirkt verhalten. Nicht so der vor Emotionen triefende Gesang, der sich wie in At Most A Kiss mit rauen Gitarren und Basslines abwechselt.

Ein zum Leben erwecktes Schlagzeug. Grundlage für die ersten Tanzeinlagen an diesem Abend. Ich bin berauscht und freue mich, wie Blossoms die große Bühne füllen. Der Gegensatz zum Terrace Hill in Erinnerung präsent. Gemeinsam haben die Abende jedoch die weiße Hose, in der der Sänger lässig über die Bühne schlendert. Zwischen den Songs die Bandkollegen vorstellend.

Und zum Schluss, nun löst sich auch meine Grübelei, wird der blonde Gitarrist benannt. Bei Charles macht es klick. Der Sänger der Pariser Gruppe Keep Dancing Inc, die Blossoms bei ihrem Hamburg Konzert im Oktober begleitete, trat kurzerhand seinen damaligen Gastgebern für die heutige Show bei. Das neue, sechste Blossoms Mitglied?

Zu Charlemagne findet ihr Auftritt einen Abschluss.

Erleichtertes Aufatmen einerseits, da der ersehnte Hauptact greifbar näher rückt. Meinetwegen hätten jedoch noch zwei, drei Songs gepasst. Dazu muss ich sagen, dass ich, in der ersten Reihe, das Gehör durch Ohrstöpsel vor den nicht weit entfernten Lautsprechern geschützt, den schlechten Sound währenddessen gar nicht so wahrnahm.

In der letzten Umbaupause für diesen Montag lief zum vierten Mal seit dem Einlass um 18:00 Uhr Kiss Me von Sixpense None the Richer. Und die Leute singen immer noch mit. Mittlerweile ist es deutlich später. Dann The Kooks. Eine Gruppe, die meine Phase prägte, in der ich erstmals außerhalb der Radiofrequenzen Musik explorierte. Nun steht sie leibhaftig vor mir.

Irgendwie fühlt es sich irreal an.

Ähnlich als ich vor zwei Jahren die Rolling Stones sah. Wo die Erscheinung auf der Bühne nicht zum Foto der jungen Protagonisten im Kopf passt. Zwar sind Luke Pritchard, Hugh Harris und Alexis Nunzet nicht vergleichbar gealtert. Trotzdem liegt das erste The Kooks Album Inside In/Inside Out schon über zehn Jahre zurück.

Während des Auftakts Always Where I Need To Be bin ich also noch damit beschäftigt, die Situation zu realisieren. Vor mir erhellen drei Lichtstreifen die Absätze einer Treppe. Der obere ist reserviert für das Schlagzeug. Schwarzer Schriftzug mit Bandnamen prangt gleich vieler Shirts der Besucher darauf.

Links steht der Gitarrist mit Hut. Luke singt ausdrucksvoll ins Mikrophon. Enge Hose und Hemd, darüber eine Jacke, die den Eindruck einer Tageszeitung macht.

Klick, klick. Hier ein Bild und da reihen sich die Fotografen im Graben, um das gebotene Motiv einzufangen. Denn das hat Potenzial. Die Scheinwerfer, die eben noch Blossoms in atmosphärisches Licht tauchten, haben sich verdreifacht. Und die Bühne säumen weitere Lampen. Flackernd, Farbwechsel oder gedimmt sorgt aufgefahrenes Gerät für Erhellung in der Sporthalle.

Das Publikum verliert sich im Moment. Wenn ich mich umsehe, blicke ich in Gesichter, die strahlen. Münder, die mitsingen. Am meisten Pärchen, die sich in den Armen liegen. Und tanzen. Tanzen kann auch der Frontmann des britischen Trios. Ein Hüftschwung der zum Nachahmen verlockt. Oder den Wunsch entlockt, mit Luke Hand in Hand eine fesche Sohle auf das Parkett zu legen.

Eine Vorstellung wird zum Greifen nah, wenn der Sänger lässig auf die riesigen Lautsprecher im Bühnengraben springt. Die erste Reihe streckt die Arme aus. Manche machen ein Video. Westside. Eins meiner Lieblingslieder.

Heitere Passagen. Der Jacke längst entledigt, die Locken hüpfen umher. Ein Zwinkern zu den Bandkollegen. Ausgelassene Atmosphäre, jugendlich wild. Die Klassiker Eddies Gun oder She Moves In Her Own Way lassen die Fans toben. Auch vom aktuellen Album Let’s Go Sunshine sind Stimmungsaufheller dabei. Ob All The Time oder Four Leaf Clover. Dazwischen die Ballade See Me Now, ein Brief an den Vater.

Viel Zeit zum Innehalten bleibt jedoch nicht, nach dem zarten Weight Of The World folgt bereits mit Forgive & Forget ein weiterer, tanzbarer Song. Das ganze fühlt sich an wie eine riesige Fete. Trotz Zugabe mit No Pressure und natürlich Naive ist das Konzert zu früh beendet. Erinnerungen und Songtexte wieder aufgefrischt, wird auch die Bahnfahrt nach Hause noch von einer Blase anhaltender Eindrücke begleitet.