FIEBERTRAUM

Kennt ihr diese LED Lichtleisten, die auf Knopfdruck in den verschiedensten Farben erstrahlen? Stell dir vor, es ist später Abend und du wählst die rote Taste. Das Zimmer wird in gedimmtes Licht getaucht. Mit einigen leisen Schritten erreichst du deinen Plattenspieler und senkst die Nadel langsam auf das schwarze Vinyl. Der Plattenteller dreht sich. In der rot getünchten Luft hängen düstere Klänge.

„Eine richtige Mood!“, wie Julius sagen würde.

Julius kommt aus der Nähe von Hamburg und macht Musik. Unter dem Namen Fiebertraum veröffentlichte er bereits eine selbstbetitelte EP und den Song Labyrinth Lady. Musik, die schranzig klingt und nach lauen Sommerabenden. Als hätte man den Kopf unter Wasser getaucht. Oder wie eine Seite aus dem Fotoalbum, in dem neben gepressten Wiesenblumen ein Fotoabzug vom ersten eigenen Moped und der zerknitterte Kassenzettel einer Packung Eis am Stiel von Aldi klebt.

Bei einem Dreh für das Pabst Musikvideo zum Song Skyline haben Julius und ich uns das erste Mal getroffen. Einige Wochen später unterhalten wir uns dann per Videoanruf über Lieblingsalben, eine ganz besondere Simpsons-Folge und warum Akustik-Alben eigentlich immer als Sommersoundtrack funktionieren.

Nicht zu vergessen die roten LEDs! Denn die passen perfekt zur Atmosphäre vom 1982er The Cure Album Pornography. Dementsprechend sind die vier Wände von Julius nicht selten in Rot getaucht, während er das Albumcover mit den drei verschwommenen Gestalten im selben Farbton zwischen den Fingern dreht. Auf die Band hat ihn sein Vater gebracht:

„Irgendwann bin ich bei meinem Dad im Auto mitgefahren und sollte dann über sein Handy Musik abspielen. Da meinte er, ich solle mal The Cure anmachen. Und ich fand das richtig geil direkt. Gleich nachdem ich wieder zuhause ankam, musste ich mir ein Platte von denen bestellen.“

Etwas Goth-mäßiges mit ästhetischem Cover-Artwork, darauf sollte Julius‘ Wahl fallen. Begeistert schildert er mir, wie ihn dieses basslastige Album mit den halligen Gitarren und typischem 80er Jahre Drum-Sound in den Bann gezogen hat. Hinzu kommen die düsteren, fast surrealen Texte, die den psychedelischen Gesamteindruck zusammenschnüren. Nur mäßig geeignet als Gutenachtgeschichte, wie Julius eigens erfahren musste:

„Ich habe das mal zum Einschlafen gehört und dann ganz ganz komisch geträumt.“

Nicht weniger absonderlich geht es auf In The Aeroplane Over The Sea von Neutral Milk Hotel zu. Ein weiteres essenzielles Album für Julius, „weil es so ein krank gutes Konzeptalbum ist! Eins, das man als Gesamtprodukt sehen muss.“ Ein expressionistisches Kunstwerk in seiner Gänze, wo die abschließenden Zeilen nochmal auf Songs davor zurückkommen. Die Worte, die dem Sänger über die Lippen kommen, sind so emotional aufgeladen, dass es unter die Haut geht. Ebenso die darin formulierten Themen und nach mancher Ansicht – versteckten Botschaften.

„Es gibt auch einige Verschwörungstheorien zu der Geschichte, die hinter dem Album steckt. Zum Beispiel, dass der Sänger eine Zeitmaschine gebaut und Anne Frank gerettet hat, die jetzt als seine Frau an seiner Seite lebt.“ Vielleicht hat der Versuch, die kryptischen Gedanken hinter dem Song Holland 1945 zu entschlüsseln, diese Vermutungen gesäht.

Nachdenkliche Stimmung legt sich ebenfalls auf diese Zeile des Titeltracks: „One day we will die and our ashes will fly in the aeroplane over the sea“, die mit einer beflügelten Schwere gut in den Winter passt. Und in den Sommer. „Es ist sowohl ein geiles Sommer- als auch ein geiles Winteralbum.“ Wo wir bei dem Thema wären, was so gut wie immer in die heißen Monate passt:

„Akustikalben, weil die so leicht und warm sind!“ Da geht auch mal Folk, selbst wenn man das sonst nicht so oft hört. Neil Young zum Beispiel.

Bevor Julius mit einem weiteren Titel meine ihm gestellte Aufgabe nach drei essential Alben beantwortet, schweifen wir kurz ab. Denn die Wahl für den letzten Platz in dieser Dreisamkeit war nicht ganz so einfach: „Das erste, was mir in den Sinn gekommen ist, war Nirvana. Ich habe vor Jahren eine Show im Fernsehen gesehen. Ich glaube, es war so ein 90er Countdown. Und da sah man Kurt, wie er ‚Hi, I’m Kurt‘ in die Kamera sagt und das fand ich so scheiße cool! Ich wollte so sein wie er und habe dann auch angefangen Nirvana zu hören.“

Auch die Simpsons-Folge Die wilden 90er hat dazu einen bleibenden Eindruck mit ihrer Parodie auf Nirvana und das Grunge-Movement hinterlassen. Kurzerhand ergreift Julius seine Gitarre und stimmt eine Melodie aus dem Soundtrack dieser Folge an. Die erste, die er auf der Gitarre lernte. Doch der Grund, dieses Instrument überhaupt in die Hand zu nehmen, ist einem anderen Werk zu verdanken: Drive North von swmrs.

„Ich glaube, ich habe kein Album so oft gehört wie dieses.“

Das ließ Julius auch Cole, dem Sänger der Band, nach einem Konzert wissen. Dieses Album war lebensverändernd. Nach einer Phase, in der er viel Hip Hop hörte, wandte sich Julius dem Rock zu, lernte Gitarre und schrieb dann seine eigenen Melodien. Das Faszinierende an dem, vom Fidlar Sänger Zac Carper produzierten, Album Drive North ist seine Vielschichtigkeit.

„Es hat so viele verschiedene Vibes. Da gibt es einerseits die softeren Songs Hannah oder Lose It und auf der anderen Seite stehen dann Songs wie Palm Trees. Oder Harry Dean. Was ich an dem Album so cool finde, ist, dass man reinhört und erst denkt – ok, das ist eine Punkband. Dann kommt ein geiler Rocksong, der auch auf eine Weise in einer zweiten Hook oder mit dem Hinzunehmen einer zweiten Gitarre mit den Zuhörern spielt. Und darauf folgt wiederum Hannah oder Miss Yer Kiss, wo nicht mal wirklich eine Gitarre drin ist.“

„Dieses Unvorhersehbare finde ich super.“

Julius‘ Vorliebe für Musik, die verschiedene Richtungen vereint, findet sich auch im Projekt Fiebertraum wieder. Das Spiel mit Schichten, Elementen und Texturen in einem Raum zwischen Hall und Echo. Die Hörer zu überraschen, und auch sich selbst, ist eine Priorität: „Ich habe halt keine Lust, immer nur das Gleiche und das eine zu machen.“

Die perfekten Worte, um unser Gespräch fürs erste zu schließen. Bevor ich erneut in den rankenden Strukturen der Fiebertraum EP versinke. Und die drei Alben Pornography von The Cure, In The Aeroplane Over The Sea von Neutral Milk Hotel und Drive North von swmrs meine nächsten Stunden musikalisch erfüllen.

Dieser Text ist auf Grundlage eines Interviews mit Julius von Fiebertraum entstanden. Foto: Leontine Fruck