BLITZEINSCHLAG

Ganz leise zuerst. Tröstend nimmt mich die Melodie in den Arm. Die Augen geschlossen, den Kopf schwer von Gedanken an die Schulter gelehnt. Dann im nächsten Moment ein Aufschrecken, das sich dem Trübsinn entreißt. Wild von sich stößt. Ein Paukenschlag, der donnernd den Saal erzittern lässt. Ein zuckender Blitz, der über allem schwebt. Und dessen Licht, das Umrisse auf die zum Schrei verzerrten Gesichter zeichnet.

Eine Geschichte, wie im Traum. Und ein Augenblick, so intensiv wie ich nicht mit ihm gerechnet hätte.

Angeschlossen an die fordernden Rufe des Publikums. Dem erneuten Betreten der Bühne für den finalen Akt an diesem Abend. Das Ende des Konzertes greifbar und doch für die nächsten Minuten außer Sicht. Aufhören, wenn es am schönsten ist. Ich hatte mich immer gefragt, was das wohl bedeutet.

Samstag, der 17. November. Der Wind pfeift um die Ecken und in Hamburg ist Dom.

Eine überfüllte U-Bahn-Station Feldstraße. Eine in Zuckerduft eingehüllte Menschentraube, Luftballons und Lebkuchenherzen in den Händen haltend. Doch auch wenn sich mein Weg Richtung der bunt blinkenden Fahrgeschäfte in naher Ferne fortsetzt, ist mein Ziel ein anderes. Das Uebel & Gefährlich. Und ein Konzert Drangsal’s.

Es ist 19:40 Uhr und ein Trio nimmt Aufstellung im Zentrum des heutigen Geschehens. Pabst. Eine Band kinda nice. Und mir seit einiger Zeit bekannt. Einmal live erlebt, hinterlässt der rotzig-schroffe Sound Eindruck. Der Stil wirkt in Waage zwischen gewollt und undurchdacht. Album Chlorine und die Vorlage, headbangend im Kreis zu hüpfen. Die Freude ist ohne Ausnahme groß, wenn die Ernennung der Vorband gern gehörte Namen beinhaltet. Enttäuscht wurde ich nicht.

Und auch die Heimfahrt begleitet die Zeile: shake the disease say no to the police.

Keine Weile später nach dem Power-Auftritt der drei Berliner kehrt abermals Bewegung auf der Bühne ein. Instrumente werden angepackt. Ausgetestet. Hergerichtet. Nur an das Kabel von Max Gruber’s Mikrofon hat keiner gedacht. Salat. Wie sich später herausstellen wird.

Vor um neun. Unter entzückten Jauchzern im Publikum und einem tosenden Lautsprecherklang betritt die Gruppe Drangsal der Reihe nach die Bühne. Christoph Kuhn am Schlagzeug, sein Shirt als Sympathiebekundung für den päbstlichen Supportact. Und auch die Oberbekleidung Theo Kraus‘ setzt ein Statement, Männerversteherin. Es folgen Oliver Heinrich, Sam Segarra als schönster Bassist der Welt und der Antiheld des Abends Dr angsal höchstpersönlich.

Direkt setzt der erste Song ein. Jedem das Meine. Entrüstete Egozentrik geteilt mit Hunderten.

Der ausverkaufte Ballsaal des Uebel & Gefährlichs fasst diesen Abend an die tausend Gäste. Textsicher. Und bei Will ich nur dich lauter, als Drangsal sich selbst hört. Eine angenehme Begrüßung. Pech hat einzig jener mit Bock auf Rock beim folgenden Song. Do The Dominance. Wechselnd aus Stücken vom aktuellen Album Zores und dem Debüt Harieschaim setzt sich das Set zusammen.

Zwischen Aktion und Interaktion. Ein Publikum, mitteilungsfreudig und gewillt, auch das letzte Hemd für den Sänger auf der Bühne zu geben.

Mit jeder neuen Melodie schleichen sich bekannte Bilder in meine Gedanken. Einsame Autofahrten begleitet von Sirenen, lauthals mitgesungen. Der Ingrimm und meine Schwester, die mir mit vielsagendem Blick die erste Drangsal Platte überreicht. Ein verspätetes Geburtstagsgeschenk und Nächte vorm Plattenspieler.

Nicht nur der vertraute Gesang, auch die Art von Max Gruber, an diesem Konzertabend seine Gäste zu unterhalten, geben mir das Gefühl, heut am richtigen Platz zu sein. Wo der Typ, der eben noch in der Warteschlange vor mir stand, jetzt mit geschlossen Augen crowdsurft und selbst dabei noch berührt die Lyrics mitsingt. Wo nach jedem Ausrasten im Moshpit Becher mit Wasser in die Reihen gegeben wurden.

Und wo ein angry face so viele Gesichter strahlen lässt. 

ACME wird dem Publikum gewidmet und abschließend geht die Band zu einem ausgedehnten Instrumental-Epilog über, der den Auftritt bis hier hin abrundet und reflektiert. Doch jedem ist klar, dass auf die kurzzeitig menschenleere Bühne noch etwas folgt. Der Zusatz. Zugabe. Oder zweite Teil.

Spätestens nach Eine Geschichte sind alle wach. Eindrucksvoll. Vielleicht, so wie ich, für die nächsten fünf Stunden, voller Eindrücke. Turmbau zu Babel und Allan Allign. Das Hemd ist längst zerrissen, alle Distanz zu den Konzertbesucher*innen überwunden. Tausend mal berührt. Tausend berührt. Der letzte Satz. Und wir hören auf, wenn es am schönsten ist. 

Vielleicht auch darüber hinaus mit Dj Schwede und Ihre Bestellung bitte.