Morgens immer müde. Das liegt nicht allein an durchtanzten Nächten, wie es Laing in ihrem 2012er Radiohit besingen. Mit einer anderen Form der schlaflosen Stunden beschäftigt sich neun Jahre später die Wuppertaler Künstlerin Maria Basel. In the silence when my thoughts get loud / In the void I find myself at night / I lie back and start thinking about all the memories come crashing back to me now.
„Wenn ich viel um die Ohren habe oder mich Dinge emotional belasten, nehme ich die ganz oft mit in den Schlaf. Das Hirn rattert dann einfach weiter, auch wenn ich weiß, ich sollte mich jetzt entspannen und den Körper auftanken lassen.“
Ein Phänomen, das einigen bekannt sein dürfte. Sich abends in Szenarien und Gedanken zu verspinnen, man selbst liegt schon im Bett und setzt sich dann mental noch unabgeschlossene Arbeiten vor. „Ein Horrorzustand, wie ich finde“, beschreibt Maria Basel, die diese Zerrissenheit und die wirren Träume des nicht erholsamen Schlafs in der zweiten Single ihrer EP Layers verarbeitet. Wake Up Tired betitelt die Situation am Morgen nach einer unruhigen Nacht.
Obwohl der Song bereits vor drei Jahren entstand, ist er doch zeitlos. Denn das Gefühl, was die Wuppertalerin einst während des Songwritings begleitete, holt sie auch heute ab und an wieder ein: „Als Musikerin ist man ja 24/7 beschäftigt. Es gibt immer irgendetwas, wo man schnell handeln, etwas vorbereiten oder beantworten muss.“ Gerade wenn eine Veröffentlichung kurz bevorsteht, wie Anfang März 2021 ihre Debüt-EP, ist es auch für Maria manchmal nicht einfach, sich als eigene Chefin um 18 Uhr den ultimativen Feierabend zu gönnen.
„In den letzten Monaten habe ich trotzdem versucht, mir strenger einen freien Abend zu gestalten. Sodass man vor dem Schlafen ein paar Stunden hat, in denen man runterkommen kann und so wenig Informationen wie möglich in den Kopf lässt.“ Sich wiederholende Rituale einzuführen ist eine der vielen Strategien, um der nächtlichen Unruhe entgegenzuwirken. „Ein Freund hat mir Yoga empfohlen und ich glaube, das ist eine gute Möglichkeit, um sich auch körperlich und nicht nur mental zu entspannen. Das würde ich gern mal ausprobieren.“ Mit einem Lachen fügt Maria hinzu: „Da bin ich aber noch im Optimierungsprozess.“
Hilfreich kann ebenfalls eine Geräuschkulisse sein, von White Noise über Föhngeräuschen bis hin zu beruhigenden Musik. Doch wirken Melodien und Songs in erholsamer Hinsicht, auch wenn man sich selbst täglich mit dem Musikmachen auseinandersetzt? „Bei mir definitiv! Ich höre dann in bestimmte Künstler*innen rein und versuche mich richtig tief reinzubuddeln, auch in die Lyrics.
Wenn ich mich richtig auf die Stimmung einlasse, kann das viel mit mir machen – aufwühlen oder beruhigen, je nachdem.“
Sobald der Körper dann den Modus der äußeren Ruhe erreicht und die Phasen des Ein-, leichten und Tiefschlafs durchlebt hat, wird das Gehirn erst richtig aktiv. Es beginnt die rapid eye movement (REM-) Phase und wir tauchen in Traumwelten ab. Die vermeintliche Kulisse einer unterbewussten Bewältigung von Erlebtem. In dem Musikvideo zu Wake Up Tired finden sich einige dieser Traumzustände wieder, die Maria Basel nicht nur musikalisch, sondern auch visuell kontrastreich in Szene setzt.
„Ich habe mehrere Lieblingsszenen in dem Musikvideo. Doch vor allem gefällt mir, was wir unter dem Arbeitstitel ‚Zerrissenheit‘ gedreht haben. Es gibt kein spektakuläres Kostüm, das ablenkt. Die Person ist einfach bloßgestellt und von verschiedenen Interessen und Wünschen hin- und hergerissen.“ Dieser Videoausschnitt zeigt Maria im Portrait vor dunklem Hintergrund. Hände zerren an ihrem Gesicht, während sie weiter den bittersüßen Songtext vorträgt. „Das war schon eine sehr intensive Erfahrung. Während dieser harten Berührungen weiterzusingen und konzentriert zu bleiben.“ Drei One-Takes in Slowmotion wurden dafür gefilmt und der letzte hat es ins finale Video geschafft.
Neben dieser zermürbenden Konfrontation mit unterschiedlichen Einflüssen führt Maria Basel durch weitere Traumabschnitte. Die Musik mal elektrisiert, wie ein mysteriös melancholischer Samtvorhang oder träge wie flüssiger Honig. Synthetische Klänge werden zu Wolken und tragen die Musikerin schwerelos durch die Luft.
„Ich habe als Kind sehr oft vom Fliegen geträumt, doch mit dem Alter ist das leider immer seltener geworden.“
Ein großes Finale erreicht das Video mit dem von Maria selbst verkörperten Abbild von Tod und Neuanfang. Das Gesicht zur Hälfte in Kohleschwärze getaucht und mit ausladendem schwarzem Kostüm posiert sie im zuckenden Stroboskoplicht. „Mit diesem Konzept – Styling, Make-Up und Kameraführung – bin ich auch sehr zufrieden. Das war die letzte Szene, die wir aufgenommen haben. Das heißt, ich bin in dem Aufzug auch nach Hause gegangen. Und hätte sicherlich einigen Menschen einen Schreck eingejagt, wenn ich jemandem auf der Straße begegnet wäre“, berichtet Maria vom Videodreh. „Nichtsdestotrotz mag ich alle Szenen aus dem Musikvideo, da alle für sich stehen und ganz unterschiedliche Stärken und Sanftheiten ausdrücken, die meine Gedanken und Traumwelten definieren.“
Wake Up Tired zeigt die teilweise bizarren Szenen, die nach dem Aufwachen noch bruchstückhaft in den Gedanken verweilen. „Oftmals ist es eher ein Gefühl, das ich aus einem Traum mitnehme. Zum Beispiel Angst, obwohl ich nicht mehr richtig verbildlichen kann, was mir Angst eingejagt hat“, erzählt Maria, die sich für die Arbeit an dem Video auch über Traumdeutung belesen hat. „Der Tod wird zum Beispiel positiv gedeutet und ist nicht immer nur negativ konnotiert.“
„Es ist schon spannend darüber nachzudenken, wie manche Träume zustande kommen. Was sie ausgelöst hat oder was man damit versucht zu verarbeiten.“
Bei einer Art von Traum muss die Musikerin jedoch nicht lang nachdenken, wo er seinen Ursprung hat. Denn manchmal verirrt sich auch eine Songidee in die nächtlichen Gedanken. „Ich habe im Traum schon Stücke gehört und nach dem Aufwachen versucht, diesen fragilen Moment einzufangen. Aber es ist schwierig, die Essenz so festzuhalten, dass man sie am nächsten Tag noch verstehen und nachvollziehen kann.“ Mit Sprachaufnahmen rekonstruiert Maria dann die Songs, die sie teilweise schon komplett mit Beat, Klavier und einer Stimme in ihren Träumen hört.
„Ich finde es einfach abgefahren, wenn man einfach irgendetwas macht, man geht gerade schlafen oder macht nichts Besonderes und dann ist da plötzlich diese Musik aus dem Nichts! Das ist irgendwie magisch, da bekomme ich immer Gänsehaut, wenn das passiert.“
Fünf magische Momente haben letztendlich auch zu der Entstehung der Debüt-EP Maria Basel’s geführt. Eine Handvoll Songs bilden Layers und weite Klangwelten mit satten Wiesen im Sommerregenschauer, vor Hitze flimmernden Wüsten und sanft ruhenden Seen. Und wer das Bedürfnis verspürt, sich auch mal am Tag wegzuträumen, ist nur eine Fingerspitze davon entfernt:
Dieser Text basiert auf einem Interview mit Maria Basel am 8.2.2021
Fotos: Arne Schramm