POP, DIEBSTAHL UND PERSPEKTIVWECHSEL

Ein sachtes Dahinschweben im siebten Himmel. Ohne Antrieb. Eher so selbstverständlich wie das Atmen geleitet der Klang durch unbekannte Schwerelosigkeit. Flüchtig wie dahindriftende Wolken. Und gleichzeitig ein solides Fangnetz aus herrlichen Illusionen, gespannt über dem Boden der Tatsachen.

Wie hart dieser Boden sein kann, erlebte der Schöpfer dieser träumerischen Klangwelt, Chad Valley, auf seiner Tour. Von einer Kaffeepause zurück, musste er feststellen, dass ihm sein gesamtes Equipment entwendet wurde.

„Mir wurde bisher nie etwas Bedeutsames gestohlen, deshalb löste es ein neues Gefühl von Leere aus, mit dem ich nicht vertraut war.“

Schlimm genug, dass nun die Ausrüstung für kommende Auftritte fehlte, befand sich unter dem Diebesgut auch der Laptop des Künstlers. Und einzig auf diesem waren die Tracks für ein neues Album gespeichert. Doch ganz seiner gemütlichen Ausstrahlung entsprechend, blieb der, unter bürgerlichem Name als Hugo Manuel bekannte, Brite die Ruhe selbst.

„Ich bin eine sehr positive Person, also war ich schnell wieder dabei, auf die Beine zu kommen und zu überlegen, wie wir die Tour fortsetzen.

Und zu der Zeit habe ich nicht wirklich an die Musik auf meinem Laptop gedacht, die ich geschrieben hatte. Als ich von der Tour zurückkam ins Studio, war ich sehr fokussiert darauf, neue Musik zu schreiben, sodass ich den Fakt, diesen Verlust erlitten zu haben, einfach ignorierte.“

Doch ignorieren ist fast untertrieben. Er machte sich den Verlust zu Nutze. Nahm das Unausweichliche als Anlass für einen Perspektivwechsel. Und startete von Neuem durch.

Denn „es ist unmöglich Dinge so wieder herzustellen, wie man sich an sie erinnert. Daher war es viel leichter, einfach von vorn anzufangen mit neuen Songs. Die Lieder, die ich vor dem Diebstahl geschrieben hatte, waren introspektiver und als ich erneut anfing, wollte ich aus meinem eigenen Kopf heraus und aus der Perspektive von jemand Anderem schreiben.“

So ist Imaginary Music ein Album, das sich aus flirrenden Sounds und sanftem Gesang zusammensetzt. Der für Chad Valley typische Elektropop umgarnt Texte über die Aufregung vor dem ersten Date oder der ersten Liebe. Doch mit einem Unterschied, der ebenso durch den Wunsch des Künstlers, zeitlose Popmusik zu verstehen, beeinflusst wurde – die Songs sind nicht mehr autobiografisch.

Rückblickend hatte dieser Zwischenfall jedoch nicht nur Einwirkungen auf das aktuelle musikalische Werk des Künstlers.

„Es hat die Art und Weise wie ich jetzt mein Leben lebe verändert. Ich habe einen großen Teil meiner Habseligkeiten verkauft und lebe nun ein minimalistischeres Leben. Ich habe dadurch erkannt, wie unbedeutend materielle Besitztümer sind.“

Seit fast acht Jahren erschafft Hugo Manuel unter dem Namen Chad Valley seine Klangwelten. Und neben den gegenwärtigen Veränderungen im Songwriting-Prozess hat er von 2012 bis heut auch die Sicht auf die eigene Musik gewechselt. Wenn er in einem Interview zu seinem Debüt Young Hunger noch sagte: „I make pop music for people who don’t like pop music“, so berichtigt er die Aussage nun.

„Jetzt in 2018 würde ich sagen: ‚Ich mache Popmusik für Leute, die Popmusik lieben‘! Ich denke, das Klima in 2012 war anders und die Vorstellung, dass ein Indie-Bursche wie ich Songs wie My Girl machen würde, war irgendwie absurd.

Deshalb hatte ich damals das Bedürfnis, meine Liebe zu Popmusik zu verbergen, wohingegen ich sie heute akzeptiere.“

Und diese Liebe führt auch dieses Jahr zu einem Album, dem man die Leidenschaft für Pop aus den Achtzigern anhört. Losgelöste Sounds und ein Umfeld blumiger Gefühle, die den Vibes eine Geborgenheit geben, die nicht einmal entfernt auf die Entstehungsgeschichte von Imaginary Music hindeuten. 

„Ich werde immer die Musik machen, die ich hören möchte und denke, dass es nicht genug Popmusik außerhalb des Mainstream Pop Universums gibt.“

Dieser Text ist auf Grundlage eines Interviews mit Chad Valley im Juli 2018 entstanden. Foto: Kit Monteith