MENSCH – MASCHINE – MUSIK

Letztes Jahr trat Ólafur Arnalds beim Reeperbahn Festival auf. Zusammen mit „Stratus“, seiner selbst programmierten Audio-Software. Während der Isländer sich hinter einem Klavier platzierte und die Finger sanft über die Tasten bewegte, ergänzte Stratus auf zwei weiteren Klavieren die Komposition. Zu jedem Ton, den Ólafur anschlug, dachte sich die Software passende Melodien und Klänge aus.

Holly Herndon veröffentlichte im vergangenen Mai ihr Album PROTO. Doch nicht nur die aus Tennessee stammende Künstlerin ist darauf zu hören, sondern auch „Spawn“. Eine künstliche Intelligenz, der Holly das Singen beigebracht hat. Dazu lieh sie Spawn ihre Stimme und fütterte die KI mit weiteren von Menschen produzierten Gesängen. Spawn entwickelte ihre eigene Klangfarbe und Holly den Dialog mit der Technologie. Im Rahmen eines Pop Albums.

Künstliche Intelligenz in der Kunst

Ein Mensch und zwei von selbst spielende Klaviere oder das Duett mit der künstlichen Intelligenz – beides ist seit einiger Zeit keine Zukunftsmusik mehr. Die Möglichkeiten, Technologie in die Songkomposition einzubeziehen, gehen mittlerweile über elektronische Keyboards oder Computerprogramme zur Tonbearbeitung hinaus. Und das Verständnis von Software als reines Werkzeug des Menschen wird mit Projekten wie denen von Holly Herndon oder Ólafur Arnalds hinterfragt.

Seit kurzem reiht sich ein weiteres Musikprojekt in die Versuche ein, neue Klangwelten mit der Hilfe einer Künstlichen Intelligenz zu erschaffen. Das Produzentenduo dp und die KI „Lucy“ veröffentlichten am Neujahrstag 2020 ihren ersten gemeinsamen Track Endless. Am 24. Januar folgte die zweite Single Ciao (Let Me Be Your Pick) und der dritte Song im Bunde, The Journey, wird morgen für die breite Öffentlichkeit zu hören sein.

Lucy Dreams

„Lucy Dreams ist für uns wie eine zufällig aufgestoßene Tür in ein unbekanntes Sound Universum. Musik und Melodien haben uns immer schon fasziniert, ebenfalls technologischer Fortschritt. Eine Kombination aus diesen zwei Leidenschaften hat dazu geführt, dass wir mit einem System an Effekten unerwartet spannende Klänge erzeugt haben. Zu Beginn waren wir selbst überrascht, was möglich ist. Wir, dp, sind gerade dabei, dieses Universum Schritt für Schritt zu erkunden. dp deswegen, weil wir uns mit einem popkulturellen Augenzwinkern in die zweite Reihe stellen und der Maschine die Bühne überlassen.“

Aus der Kopplung digitaler und analoger Effekte entstand zufällig ein System, das in Zukunft eigene Soundstrukturen produzieren sollte. Ohne eine konkrete Idee zu verfolgen, haben dp Einstellungen an ihrem Effekt-System vorgenommen, Klänge eingespeist, experimentiert. Als Grundlage dienten Stücke von Kraftwerk, Mozart und Pink Floyd, die mittlerweile durch verschiedenste Sounds erweitert wurde. Und am Ende wurde beobachtet, was nach ihrem Input wieder herauskommt.

„Teilweise dauerte es mehrere Minuten, bis erkennbare Strukturen zu hören waren. Diese Resultate waren für uns unerwartet und faszinierend. Also haben wir weiter mit diesem System gespielt und es Lucy getauft. Die Resultate, also die erkennbaren Strukturen, sind Lucys Träume.“

Diese Träume sind in den genannten Songs von Lucy Dreams bereits zu hören. Melodien und Rhythmen. So ist zum Beispiel die Melodie der Vocals im Refrain von Ciao (Let Me Be Your Pick) ein Ergebnis der Klangexperimente. „Natürlich braucht es menschliches Zutun, dass daraus dann ein Popsong entsteht. Es ist jedoch faszinierend, diesen digitalen Quell als Ausgangspunkt zu nehmen.“

Die Traumlandschaft Lucy’s ist verlockend und ein noch längst nicht erschöpfter Topf an Möglichkeiten, Bits und Bytes tanzen zu lassen. Und neben der morgigen Songveröffentlichung, wird die Neugier des Produzentenduos dp künftig für weitere Experimente sorgen: „Der Kosmos, in den wir uns selbst geschossen haben, verführt uns jeden Tag aufs Neue. Wir arbeiten an neuen Songs.“

„Und es entstehen auch laufend frische Ideen, so soll zum Beispiel in Zukunft die Hörerschaft die Möglichkeit bekommen, Lucy zu füttern.“

Doch zu all der Faszination für den technologischen Fortschritt gesellt sich auch die Skepsis. Für mich, aus einer Sicht als Hörerin, scheint dieser Einbezug einer künstlichen Intelligenz in die Songkomposition noch so ungreifbar. Das macht einen gewissen Reiz aus. Gleichzeitig frage ich mich, inwieweit künstliche Intelligenzen in Zukunft die Produktion von Musik selbstständig übernehmen können. Bei den Hintergrundsounds von Computerspielen ist das ja jetzt schon ein Ding. Wird sich das Verhältnis von Mensch und Maschine wenden? Wird unsere Kreativität das Werkzeug der Software und nicht mehr andersrum?

Das sind nur einige vage Fragen. Und Lucy Dreams ist eines der Projekte auf dem Weg dieser spannenden Entwicklung. Was in ein paar Jahren sein wird, können auch dp bisher nur vermuten: „Es wird neue, wegweisende Formen der Komposition geben. Spannende Blicke in die Zukunft hat zum Beispiel das Ars Electronica in Linz mit der Ausstellung AIxMusic gewagt. Die Rolle der Maschine wird eine bedeutende sein.“

„Die wesentlichen Elemente der Kunst, wie etwa die Fantasie, bleiben aber in den Händen des Menschen und seinen Emotionen.“

Das Gefühl. Künstler*innen und Bands schreiben Songs mit der Intention, bei ihren Hörer*innen etwas damit auszulösen. Eine Gefühlsregung, ob gut oder schlecht. Und es ist bekannt, dass Maschinen (noch?) nicht fühlen können. Wie entstehen zwischen Signalen und Codes der künstlichen Intelligenz die Emotionen?

„Basiert nicht vieles im Leben auf Signalen und Codes? Unsere DNA ist ein Code, Bienen kommunizieren mit Signalen, Sprache ist ein Code. Unsere Sinne entscheiden dann, ob wir den Code verstehen und ob er Gefühle in uns auslöst. Neben dem Erzeugen eines positiven Gefühls ist das Spannende an Musik auch, dass sie das Ohr herausfordert. Unbekannte Klänge, womöglich durch neuartige Signale und Codes erzeugt, können bewirken, dass man sich umso mehr mit dem Gehörten und in weiterer Folge mit sich selbst auseinandersetzt.“

„Solche künstlichen Elemente sind also interessanter Bestandteil von Musik, sie funktionieren aber nur, wenn sie kreativ eingesetzt werden. Diese Kreativität, der spontane Sinn für das Schöne, der unserem Handeln innewohnt, wird schwer maschinell reproduzierbar sein. Zum Glück.“

Dieser Text basiert auf einem Interview mit dp aus dem April 2020.