Inmitten der pulsierenden Großstadt. Wo der Verkehr nicht ganz flüssig durch die Adern fließt und ein komplexes Gewebe an Gewerben umgibt. Dort weht ein frischer Wind. Eine grüne Oase auf dem Gelände der Malzfabrik. Und für achtundvierzig Stunden pumpt das Herz im Rhythmus der Musik. Füße im Wasser, Fritten im Magen, die Sonne im Rücken und Glück in den Blicken.
Ein erster Samstag im Juni. Ein erster Schritt in das Universum – Hey, na! Und während ich vorsichtig mein Bändchen festzurre, tragen mich die Beine geschwind durch den Food Court, vorbei an verführerischen Gerüchen. Vorbei an der DIY Arena, in der aus einer Synthese handwerklichen Geschicks mit Stoff, Holz oder Blumen die physischen Erinnerungen ans Festival gefertigt werden. Vorbei an den kreativen Produkten des Basars und der Art Night.
Vorbei an Planeten, Raumschiffen, in der Luft schwebenden Astronauten
Die Sputnik Bühne ist der erste Halt, es spielt gerade Das Paradies. Denn bevor es die genannten und noch viele weitere Angebote zu entdecken gilt, darf von der regnerischen Anfahrt ausgeruht werden. Bei Musik und Sonnenschein.
Als ob es jedoch einer allmählichen Gewöhnung an dieses schöne Wetter bedarf, führt mich die Geländeerkundungstour bald in die kühlen Gemäuer der Alten Mälzerei. Hier erhellt künstliches Licht den Ausstellungsraum. Die hohen, mit Feuchtigkeit vollgesogenen Wände. Wände, die einer außergewöhnlichen Plakatierung Platz bieten – den Fotografien von Nils Lucas.
Motive vom Vor oder Danach und den Momenten während eines Konzerts. Mit Faber, Von Wegen Lisbeth oder Razz. Eine passende Präsentation für atmosphärische Aufnahmen, die in dem Raum noch beeindruckender wirken. Die Möglichkeit des schnellen Vorüberscrollens ist ausgetauscht mit Rundgang und Reflexion.
Ein Zustand des bewussten Wahrnehmens in einer sonst so schnelllebigen Zeit. Und selbst nach dem dritten Besuch in der Ausstellung fand ich neue Details und den Sinn für Ästhetik.
Viele Einzelheiten waren es auch, die sich zu den schönen Malzwiese Erinnerungen addieren. Zwischen Strand und Palme in Berlin, Rosenbogen, Weltraumkatze, Diskokugeln vergeht der Nachmittag wie im Raketenflug.
Zeit, um sich vor der Apollo Bühne einzufinden. Für Yukno stehe ich gern in der ersten Reihe. Und das Geschwisterduo aus Österreich enttäuscht nicht. Einer am Synthesizer. Der andere am Mikrophon, ekstatisch treibend in den eigenen Klangwelten. Binnen eines Rahmens bestehend aus den beiden Songs Tomorrowland und Sonne erklingt ein Set, dessen Beats und poetisch paradoxe Texte tanzen, mitsingen lassen.
Bisher nur auf Platte gehörte Melodien erhalten einen unerwartet leidenschaftlichen Ausdruck, der bleibenden Eindruck bei mir hinterlässt. Ganz klar ein musikalisches Highlight. (Und Ich kenne kein Weekend läuft immer noch in Dauerschleife bei mir.)
Ich, mit einer Rhabarber-Schorle in der Hand, die Kieselsteine knirschend unter den Schuhen, bin auf dem Weg zum nächsten Act. Während der Applaus für Yukno noch nicht ganz verklingt, haben Rikas schon ihre Strandmatten auf der zweiten Bühne ausgerollt. Den bunten Klappstuhl ausgeklappt.
Bei gewohnt sonnigen Klängen besingt das Quartett Speisen aus dem Food Court Angebot und gibt ein Kraftwerk Cover von Model zum besten. Heidi war dazu leider nicht anwesend. Dafür aber eine Menge bunter Leute, die locker ihre Hüften schwingen ließen.
Witzig, spritzig und wie ich es mir vorgestellt hatte, zauberten Rikas Lächeln auf die Gesichter der Besucher.
Es formiert sich erneut eine Pendlerbewegung zur großen Wiese. Denn das musikalische Programm setzt sich ereignisreich fort. Jetzt bleibt nicht viel Zeit für eine Abkühlung im Teich oder Shopping am Merch-Stand, welcher durch Rikas‘ blaue Platten, Beutel und Abziehtattoos ziemlich üppig aufgefüllt sein dürfte. Nichtsdestotrotz lasse ich mein Ziel (die erste Reihe vor der Apollo Bühne) ob dieser Verlockungen nicht aus den Augen.
Doch was ist so krass, dass ich die Gelegenheit, meine Plattensammlung zu erweitern, nicht wahrnehme? Einen Hinweis gibt der freshe Razz-Beutel, der mich auf der Malzwiese begleitet. Dessen Rauminhalt könnte nur sehr knapp für eine Vinyl reichen. Und wie erwartet prangen diese vier Buchstaben ebenfalls auf dem Bühnenhintergrund, der die nächste Band ankündigt.
Mittlerweile hast du meine Faszination für Razz sicher registriert und konntest das erahnen. Selbst Steffen, dem Drummer, ist schon aufgefallen, dass ich nicht zum ersten Mal bei einer ihrer Shows am Start bin. Im Herzen bewegt und aufs Neue ergriffen durch Niklas‘ Stimme, gestaltet sich die nächste Stunde als ein Fest. Gesprungen und gesungen und gelungen.
Eine familiäre Songauswahl mit Could Sleep, Black Feathers oder Another Heart/Another Mind wird um Ketamine ergänzt. Für eine bewegende Überraschung, auf die ich mich gefreut hatte, ohne es zu wissen.
Nun bin ich nur noch einen Act von der Heimreise entfernt. Versorgt mit einem Übermaß an Endorphinen tanze ich ein letztes Mal diesen Samstag vor der Sputnik Bühne an, um mir auch dort mein Päckchen Glück abzuholen. Von J. Bernardt persönlich. In Form eines unaufdringlichen, sogleich fesselnden Sounds mit satten Tiefen.
Den Drumstick wie einen Taktstock vor dem Publikum erhoben, leitet J.Bernardt sein imaginäres Orchester zu klaren Melodien an. Und bei einsetzender Dämmerung erleuchten Scheinwerfer die Menschentraube. Begeistert teilt sich diese bei The Other Man in zwei, während der belgische Sänger sich seinen Weg bahnt. Für mich ausschließlich durch das vom Publikum gehaltene Mikrophonkabel ersichtlich.
Ein erster Sonntag im Juni. Ein zweiter Tag im Malzwiese Universum.
Und nach der ausgedehnten Tiefschlafphase vergangener Nacht mangelt es nicht an Fitness für diese neue Runde. Die ich, wie gewohnt, bevorzugt mit süßen Klängen beginne. Dazu waren mir die fünf Jungs von Still Trees behilflich.
Noch recht moderat vorhandenes Publikum nutzte den gegebenen Freiraum ausgelassen. Wirbelte beinah schwerelos umher zu den lebendigen Songs. Ich hingegen lasse die Musik erst in Ruhe auf mich wirken. Unerwartet erstaunt vom Gitarrenrock einer Band, die ich vorher so gar nicht auf dem Schirm hatte.
Das Wetter schön wie am Vortag, wartete ich auf den nächsten Programmpunkt.
In entspannter Atmosphäre sicherten Cassia die Versorgung an auditiver Exotik. Komplettierten somit einen sommerlichen Gesamteindruck. Da fehlen nur noch die bunten, übergroßen Wasserbälle. Und auch hierfür ist gesorgt. Fröhlich über die Menge springend, wurden sie jedoch immer wieder in den Bühnengraben befördert. Schließlich ist die gesamte Aufmerksamkeit dem sympathischen Trio gewidmet. Den facettenreichen Rock Rhythmen. Und dem erfreut lächelnden Frontmann Rob.
Ein Eis am Stiel, ein Platz auf der Wiese und Vorfreude für Lola Marsh. Samt Sonnenhut und farbenfroh gestreiftem T-Shirt strahlt Sängerin Yael Shoshana mit der Sonne um die Wette. Ebenso wie die schillernden Songs der israelischen Band.
Verträumte, warme Klänge lassen schon jetzt in Erinnerungen an das Festivalwochenende schwelgen.
Erinnerungen, die gleichzeitig durch weitere Momente ergänzt werden. Da war zum Beispiel der misslungene Versuch, die Besucher zum Pfeifen zu animieren. Was blieb war ein kollektives Schmunzeln und ein nicht weniger ausgelassenes Wishing Girl. Tanzen liegt uns besser.
Entschlossen führt mich mein nächster Gang in die Maschinenhalle. Schwarz-weiß gefliester Grund unter den Füßen. Unzählige kleine Diskokugeln wie Sterne über dem Kopf. Die Sitzreihen gefüllt bis auf den letzten Platz und darüber hinaus. Dem Aufruf, der Magie zu folgen, sind also viele nachgekommen. Siegfried und Joy. Der Name steht für ein zauberhaftes berliner Duo, das in der kommenden Stunde für Faszination sorgen wird.
Zwischen Witz und Illusion, Glitzer und Staunen. Bei einer Show, die geschickt mit den Vermutungen der Zuschauer spielt und doch so viel mehr bietet, als erwartet. Es gab eine unterhaltsame Synthese an effektvoller Musik, Klischee bedienender Ironie, einfallsreicher Zauberstücke zu bestaunen.
Und wenn ich mich zwischendurch vergewissern muss, ob meine Sitznachbarn aufgrund meiner impulsiven Lacher genervt gegangen sind, ich jedoch in zwei lachende Gesichter blicke, dann nenne ich das gelungen.
Da möchte ich die magischen Hallen am liebsten nicht mehr missen, doch draußen wartet bereits die nächste Überraschung. theAngelcy aus Israel füllen die Apollo Bühne mit ihren Instrumenten und die goldene Abendluft mit euphorischen Emotionen.
Lieder reich an ehrlichen Klänge, die wie ein Abend am Lagerfeuer wirken. Oder wie altbekannte Freunde, die man herzlich in Empfang nimmt. The Call und My Baby Boy lösen als persönliche Highlights einen Überschwang Entzückung aus, den es so ausschließlich bei Live-Auftritten gibt.
Und schon neigt sich mein Malzwiese Aufenthalt dem Ende zu. Ehe ich die Heimreise antrete, genieße ich meinen finalen Gang zur zweiten Bühne und die musikalische Darbietung Leyya’s (wenn auch nur für die erste Hälfte des Sets). Die Elektropop-Formation aus Wien ist eine meiner jüngsten Entdeckungen und deshalb von Neugier, das Live-Potenzial betreffend, umrankt.
Doch ebenfalls hier hinterlassen Soundkonstruktionen und Auftreten eine positive Impression. Nach den ersten paar Songs traut man sich dann auch dichter an den Bühnenrand. Um die letzten Züge des Festivals auszukosten. Viel zu schnell ging die Zeit vorüber.
Das war die Malzwiese 2018 für mich. Ein erstes Mal zur Zaubershow und ein erstes Mal Yukno live erlebt, was mich nachhaltig beeindruckte. Nicht zum ersten Mal Razz gesehen und aufs Neue groß gefeiert. Eine erste Musikfotografieausstellung und viele, viele weitere schöne Momente. Ein riesiges Dankeschön an das beteiligte Team und alle Mitwirkenden für so ein wunderbares Wochenende!