Der fortwährende, schreckliche Krieg in der Ukraine ist nach über einem Jahr für manche von uns vielleicht nicht mehr so präsent oder schockierend vereinnahmend wie nach dem Überfall Russlands in den frühen Frühlingsmonaten 2022. Doch der Bedarf an Unterstützung für alle betroffenen Ukrainer*innen hat nicht nachgelassen. Hilfe in Form von Spenden, Taten, Worten eine Plattform bieten, offenen Ohren. Informiert euch zum Beispiel über die Vereinigung junger Ukrainer*innen in Deutschland über aktuelle Veranstaltungen oder Möglichkeiten zur Unterstützung. Das ist eine Erinnerung, dass während wir ausgelassen auf Konzerten tanzen, Menschen in anderen Regionen der Welt nur in Angst, Ungewissheit und Bedrohung schlafen können.
Der ukrainische Künstler I HATE MYSELF BECAUSE trat am vergangenen Mittwoch (10. Mai 23) im Urban Spree auf. Der kleine Club auf dem RAW-Gelände füllt sich langsam. Und ich bin etwas eingeschüchtert davon, wie gut das Publikum aussieht. Manchmal würde ich gern ein Konzerte-Lookbook führen. Am coolsten ist jedoch die Saxophonistin der Vorband, die mir gefährlich bekannt vorkommt vom Supportact Totenwald am Sonntag. Blonde Haarsträhnen gucken aus ihrem voluminös aufgestylten schwarzen Haarschopf hervor; das schwarz-in-schwarze Outfit wird um einige Silberringe, Lederarmbänder, Ketten und Hoops in den Ohren ergänzt – doch das beste Accessoire ist und bleibt ihr blank scheinendes Saxophon. Nach drei oder vier Songs muss ich jedoch feststellen, dass sie nur als Gast das Quartett von Day Clinic bereicherte und nun die Bühne verlässt, gefolgt von einem fragenden Publikum: „ist es schon zu Ende?“
Es war noch nicht zu Ende und die berliner Band, die dieses Jahr ihr Debütalbum veröffentliche, macht mit ihrer Fusion aus Postpunk und Psychedelic Rock einen guten Eindruck. Nach einer halben Stunde werden dann die Effektpedalbretter unter den Arm geklemmt und Platz gemacht. Für I HATE MYSELF BECAUSE!
Unterstützt wird der Musiker von seinem Schlagzeuger, der in den Pausen zwischen Songs locker aus dem Handgelenk ein riesen Drumsolo präsentiert, und einem Gitarristen mit nicht weniger Geschick an seinem jeweiligen Instrument. Doch den Konzertbeginn gibt Maksym Semeniuk solo auf der Bühne. Mit einer aus dem Publikum geborgten Akustikgitarre präsentiert er zwei oder drei Songs ganz intim und ungefiltert, statt der gewohnten einschmetternd tanzbaren Rhythmen, hier noch zurückhaltend. Zuerst machte es den Anschein, er wolle nur die Gitarre stimmen, doch nach einem „stop the music, I play now!“ verstummt die Hintergrundbeschallung und der Auftritt beginnt.
Sobald die gesamte Gruppe im dämmrigen Licht der Bühnenscheinwerfer steht, wird die gebrochene Stimme von Maksym durch ein kräftigen, entrüsteten Gesang abgelöst. Perfekt zusammenpassend mit den Garagen-rockigen Gitarren und einer Klanglandschaft, die auf einer Messerschneide zwischen „mir ist alles egal“-abgefuckt und „melancholisch-euphorische Tanzdynamik“-raffiniert balanciert.
Sich der Publikumslieblinge bewusst, kündigt I HATE MYSELF BECAUSE seine drei kleinen Hits extra an: I feel bad, Fck Me und i don’t dance. Bei letzterem wiedersprechen sich die Besucher*innen, die begleitend zu ihrem Auditoriumschor begeistert umherspringen. Die Stimmung war sehr ausgelassen, aber rücksichtsvoll in der Mischung aus Leuten, die zu Dritteln aus der Ukraine, Deutschland und von ganz woanders zusammengekommen sind, um die Mitte der Woche und diesen upcoming (und meiner Meinung nach rising) Musiker zu feiern.