der busfahrer meines vertrauens / BELGRADO in berlin

Es war sehr sonnig am Sonntag – man könnte vermuten, fast so wie der Name es bereits ankündigt. Und deshalb kam es mir komisch vor, mit düsterem Make-Up das Haus zu verlassen. Die Augen schwarz eingerahmt wie das Cover-Artwork vom neuen Belgrado Album. „Intra Apogeum“, so heißt es. Ich kann mir darunter nichts vorstellen und googele daher die Wortbedeutungen. intra = polnisch „Einführung“ + Apogeum = polnisch „Apogäum“ = erdfernster Punkt auf einer Umlaufbahn um die Erde. Jetzt kann ich mir immer noch nicht mehr darunter vorstellen. Was dabei hilft, ist, das Album tatsächlich zu hören.

„Intra Apogeum“ ist nach sieben Jahren der nächste Langspieler der in Barcelona basierten Band Belgrado. Es ist nach eigenen Aussagen das „Testament einer Band, die sich dazu verpflichtet, Neues voranzutreiben und gleichzeitig klar zu zeigen, wer sie sind.“ Acht Songs sind Zeugnis dieser Aussage (oder andersherum) und verblenden eiskalten, unverputzten Postpunk mit elektronischer Disco, Dub oder Psychedelik. Klare, kantigen Formen werden gefüllt mit gesättigten Farben, wie auch auf dem Cover-Artwork.

Doch ich schweife ab von dem sonntägigen Sonnentag. Eine Reihe Punks in Lederjacken mit bunten, gestylten Haaren sind auf dem Weg ins Urban Spree und treffen auf schwarz gekleidete Bauhaus-Shirt-Träger*innen. Wegen der steigenden Temperaturen haben sich alle im Vorgarten mit Getränken versammelten und der leicht vernebelte ist Clubraum ist noch komplett leer, als ich eintrete. Die viel zu laute Musik des aufnahme+wiedergabe DJs erschlägt mich wie eine Wand und wenige Stunden später wird diese fast schnittfeste akustische Sphäre durch verbrauchte Schweißluft ergänzt.

Ab 21 Uhr sollte die Vorband auf der Bühne stehen. Eine halbe Stunde später taten sie es dann tatsächlich. Vier Personen unter dem Namen Totenwald. Eine Konstellation, die zu synthetischen Drumbeats rauen Punk hervorbringt und diesem zeitweise eine schmeichelnde Saxophon-Melodie einflößt. Die Mitglieder der Formation sehen aus wie eine „chose your fighter“-Zusammenstellung aus verschiedensten Charakteren des gleichen Genres. Und das Publikum boppt die Köpfe. Es wird wärmer im Club. Die Band spielt alte und ganz neue Songs. Für mich sind sie alle neu, da ich sie an diesem Abend (oder sagt man nach 21 Uhr schon Nacht?) zum ersten Mal hörte.

Nach einer Umbaupause, in der 90% der Besucher*innen kurz vor die Tür gegangen sind, scheinen sie in doppelter Besetzung wieder in den kleinen Raum zu drängen. Besonders dicht an dicht stehen die ersten Reihen, in denen es darauf folgend zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommt. Doch schnell wird hier eingegriffen und eine Person aus dem Publikum zieht den Störenfried zur Security. Dieser Zwischenfall hat bei mir etwas die Stimmung durchbrochen, die sich so vielversprechend mit dem Auftritt von Belgrado angekündigt hatte. Das Quartett steht im farbigen Nebel auf der Bühne und die tanzbare Musik schlägt auf mich ein. Gitarren-Akkorde begleitet von bunten Tönen des Keyboarders, der in Schiebermütze und Krawattenklammer dem Busfahrer meines Vertrauens ähnelt. Sängerin und Frontfrau Patrycja, die die Texte in ihrer Muttersprache polnisch vorträgt, tanzt mit fließenden und gleichzeitig harten Bewegung zu den Instrumentalteilen der Songs. Ihr schwarzer Anzug mit weißen Tierchen oder Gestalten darauf malt das Bild einer Pantomimin mit messerscharfer Bobfrisur. Sie trägt den Auftritt. An den Bassisten kann ich mich nicht mehr erinnern.. Ich fand es sehr freundlich, dass sowohl auf spanisch als auch auf englisch und vereinzelt deutschen Wörter kommuniziert wurde, da im Publikum einige Freund*innen der Band verweilten, aber auch Nichts-ahnende, wie mich.

Das Konzert geht langsam zu Ende, natürlich kommt der beste Song zum Schluss. Die Reihen lichten sich immer mehr, obwohl die Zugabe noch aussteht. Das ist vermutlich der voranschreitenden Uhrzeit zu verschulden. Ich warte noch bis zum finalen Applaus, auch als die Band bereits die Bühne verlassen hat, bleibt das Licht im Clubraum aus. Nur dunkelblaue Strahler weisen einen Weg zu meiner zusammengeknüllt in der Ecke liegenden Jacke. Das Urban Spree ist ein sehr sympathischer Club für postpunky, darkwavy Veranstaltungen. Das muss ich schon sagen. Ich hätte mir nur gewünscht, dass es eine Stunde früher losgeht – aber vielleicht muss es für die düstere Musik auch schon düster sein. Und der Störenfried aus dem Konzertpublikum steht noch immer vor dem Tor und diskutiert, als ich mich auf den Heimweg mache.

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