In einem breiten Ringordner, der in ein kariertes Küchentuch eingeschlagen ist, bewahrt meine Mutter ihre Rezepte auf. Für Kuchen, Kekse oder Kürbiskernbrot. Bei Fragen nach der Menge einzelner Zutaten oder einer Backzeit ist immer gewiss eine Antwort auf den eingehefteten linierten Karteikarten zu finden.
Wie wäre es, wenn das Songschreiben auf ähnliche Art verläuft? Und zwischen den mit Filzstift umrahmten Lieblingsrezepten hier und da die Melodie des nächsten Charterfolgs aufgeschlüsselt in seine kleinsten Bestandteile und Stimmungen daliegt?
Mir erzählte mal jemand, dass Musik machen wie Cocktails mixen ist. Man ist immer auf der Suche nach dem richtigen Verhältnis. Oder der einen Spezialzutat, die den Geschmack unverwechselbar macht. Manchmal frage ich mich, wie solch ein Rezeptbuch für einzelne Songs, Alben oder der gesamten Erscheinung meiner Lieblingskünstler*innen aussieht…
Mit Sicherheit gibt es überall kleine Korrekturen, Streichungen, Verbesserungen. Eine 2 aus der mit einem zusätzlichen Bogen eine eckige 3 gemacht wurde, da die Buttercreme mit 350 Gramm Butter einfach besser schmeckt als mit 100 Gramm weniger.
So steht es zumindest auf dem Zettel von ihrer Oma, den die berliner Künstlerin FLOSS sicherheitshalber noch einmal überprüft bevor sie die Menge in eine Rührschüssel gibt. Wir haben uns heute getroffen, um zusammen einen Kuchen zu backen. Keinen Frankfurter Kranz, der sonst eine gern kreierte Spezialität von FLOSS ist. Aber das Ergebnis soll mindestens genauso bunt werden wie die Musik ebenjener Künstlerin, in deren mit Flammen verzierter Küchenzeile ich nun stehe.
Ein einfacher Tortenboden ist die Grundlage. Es dauert einige Zeit, bis wir uns zwischen Teigkrümeln und Videos von zu Kuchen gewordenen Jason Derulos auf eine Form festgelegt haben, in die der goldgelbe Boden geschnitten wird.
Das Herumprobieren ist nicht nur beim Backen eine gängige Praxis, weiß FLOSS. Kurz bevor ich mit einem Rucksack voller Kuchenzutaten an ihrer Haustür klingelte, war sie ganz abgetaucht in eine digitale Audiowerkstätte, quasi einem Programm mit dem sie sich nun die Musikproduktion selbst beibringt. Mit trial and error kommt sie so den eigenen vorerst nur imaginär vorhandenen Ideen näher und formt sie wie unseren Teig zu verarbeitetem Schall. Das hilft auch, um die Arbeit ihres Produzenten nachzuvollziehen und eigene Vorstellungen besser zu beschreiben.
Sobald die grobe Form steht – ein auf zwei Wolken schwebender Regenbogen – wird nun von der Buttercreme Gebrauch gemacht. Mit kleinen Tuben an Lebensmittelfarbe verleiht FLOSS der ehemals blassgelben Masse schillernde Farben. Auch ihre Musik erstrahlt in bunten Tönen unter dem selbst gewählten Namen „Feminist Fantasy Pop“.
Aus Alltagssituationen komponiert die Sängerin eingängige Hyperpopsongs und verziert sie mit zuckersüßen Soundeffekten. Wie bei der Fertigstellung unseres Fantasiekuchens ist die visuelle Präsentation ein wichtiger Teil zu FLOSS Musik.
Maximal dekoriert, in verspielten Videoproduktionen und mit Aufmerksamkeit bannenden Outfits, die eine Brücke zu ihrer einstigen Arbeit im und nach wie vor großen Faszination für das Modedesign bildet, lädt die Berliner Künstlerin in ihre eigene Welt ein. Auch im aktuellen Song Break Meeeeeeeeee, der eine Befreiung aus den einschränkenden und nicht selten hasserfüllten Tiefen der Cyberwelt thematisiert, sind all diese Komponenten vertreten.
Kuchen und Song sind nun also knallbunt auf dem Präsentierteller angerichtet. Jetzt fehlt nur noch eins. Sie selbst ist auch ein großer Fan, allen voran für die Künstlerin Katy Perry, und daher weiß FLOSS die Verbindung zu dem Menschen die ihre Musik hören zu schätzen. Für die Veröffentlichung ihrer ersten EP 6 FL.OZ. organisierte sie ein ganz besonderes Release-Event, dass in Berlin durch die Schauplätze der EP-Entstehung führte.
Und auch jetzt sammelt die Künstlerin bereits Ideen, um kommende Konzerte und Shows zu gestalten. Ein pinker Neonschriftzug mit ihrem Namen ist dabei eine leuchtende Requisite, die nach einem Gang zum nächsten Baumarkt noch für den Transport hergerichtet wird.
Bis es so weit ist und die Songs von FLOSS live erklingen, kann man in ihren Feminist Fantasy Welt auch online auf social media besuchen, sich mit einem Stück süßen Kuchen den Hyperpop Zuckerschock geben.
Dieser Text basiert auf einem Interview mit FLOSS am 27.11.2021