KAPITEL EINS

Tagebuch, Kapitel 1:

Wo bleibt die Schwerelosigkeit? Wo sind die sorglosen Tagträume? Die Pläne für morgen? Wann fühlt sich der Alltag wieder an wie ein Riesenrad auf dem Jahrmarkt und nicht mehr wie ein Hamsterrad? Gibt es im Dezembergrau dieses Jahr noch etwas, worauf es sich lohnt zu warten? Oder Spontaneität? Einen Schritt aus der Komfortzone?

Seit einem Monat hat die Vorlesungszeit an der Uni wieder begonnen. Genauso lang arbeite ich in meinem neuen Job. Immer von Montags bis Mittwochs. Der Rest der Woche geht für die Vorbereitung und Durchführung der Zoom-Seminare drauf. Zwischen dem Texte Lesen oder Telefonaten mit den Mitstudierenden laufe ich durch Berlin. Am liebsten, wenn es dunkel ist und mich niemand stört. Manchmal ist das alles, was ich an einem Tag schaffe. Da muss ich mich schon dran erinnern, zwischendurch auch etwas zu essen. Denn ganz ohne wäre es nicht wirklich gesund. Nur morgens, da gehe ich nichts ohne eine Portion Haferbrei mit Banane an. Und Kamillentee. Das ist genauso essenziell wie die Räucherkerze am Abend, die mein Zimmer vollqualmt und dabei hilft, Albträume vorzubeugen. 

Immer wenn ich so ziellos durch die Straßen wandere, kommen mir unglaublich viele Ideen. Die Gedanken sprießen quasi zwischen meinen Schläfen, hinter die ich unablässig Musik pumpe, während meine Füße mich von Kreuzung zu Kreuzung und den Columbiadamm entlang tragen. Vor der Columbiahalle bleibe ich kurz stehen und kann kaum glauben, dass es noch dieses Jahr war, als Two Door Cinema Club hier ein Konzert gaben. Das war kurz bevor ich aus meiner Wohnung im Prenzlauer Berg geflogen bin. Dann zwischen meinem Elternhaus in Brandenburg, den Klausuren an der Uni und irgendwie einer King Nun Englandtour hin und her gependelt bin. Februar. Da haben sich die Ereignisse wie gewohnt überschlagen. Und irgendwie vermisse ich dieses spontane Pläne schmieden. 

Mittlerweile habe ich mich in einer neuen Wohnung und meinem sehr schönen Zimmer eingelebt. Meine Familie habe ich seit über vier Wochen nicht mehr gesehen. Da bin ich mehr als dankbar und froh über die Arbeit und Uni im Moment, die mir wieder allerhand Aufgaben servieren. Vom verpassten Sommer ablenken. Und eine Beschäftigung geben, die über den Blog hinaus geht. Apropos, ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass ich ohne all die Konzertberichte fast ausschließlich Texte über Interviews schreibe? 

Ist es komisch, dass ich doch allerhand zu tun habe und mich trotzdem genau jetzt nach mehr Action sehne? Ein bisschen Abwechslung? Wann habe ich das letzte Mal über neue Musik geschrieben, ohne dass mich jemand darum gebeten hat? Und wann die letzte Platte im verkramten Laden um die Ecke gekauft? Wo sind die Geschichten über Leute, die ich nach Konzerten beim Warten auf die Band treffe? Warum muss ich beim Schreiben jeden Satz zehn Mal überdenken, bevor er mir gefällt?

Bin ich festgefahren? In den eigens gesetzten Grenzen? Wie auch immer die Antworten darauf ausfallen, ich habe die letzten Tage eine Menge Spaziergänge gemacht. Und eine Menge an Ideen und Gedanken, neuen Songs, Rezepten und Bekanntschaften versammelt. Ich will was verändern, will die ganze Physik. Ich will mich verändern, so wie Dynamit.