33 RUNDEN (AUF 12 ZOLL)

Ein Gastbeitrag von Mar:

Hallo, mein Name ist Mar und ich sammle Schallplatten. Okay zugegeben, das ist natürlich nicht alles, was ich tue, aber es macht schon einen großen Teil meines Lebens aus. Denn: Musik ist meine große Liebe. Eigentlich höre ich immer Musik, außer wenn ich schlafe oder arbeite. Eine Freundin sagte mal zu mir, ich würde Musik atmen und ich finde, das trifft es schon ganz gut. 

Meine Liebe zu Schallplatten bzw. meine Faszination für diese Art Tonträger hat sich eigentlich schon sehr früh herauskristallisiert. Meine Eltern haben mit mir viele Märchenplatten gehört und ich saß immer mit großen und leuchtenden Augen da, wenn Papa seine Platten vorsichtig aus der Hülle nahm und auflegte. Er hat übrigens immer noch den gleichen Plattenspieler, der nach wie vor reibungslos funktioniert, nur viel seltener in Betrieb ist. 

Platten haben mich auch von der Haptik her immer deutlich mehr interessiert als CDs. Mein erster eigener Discman war dennoch eines der besten Geschenke, die ich je bekommen habe. Es gab keinen Tag, an dem ich ihn nicht mit in der Schule dabei hatte, um auf dem Weg und in Pausen Musik zu hören bis zu meinem ersten MP3-Player der genau 256 MB Speicherplatz hatte. Und auch wenn der Fortschritt der Technik mich diesbezüglich immer noch täglich auf dem Smartphone und mit Spotify begleitet, ist die Schallplatte nach wie vor mein liebster Tonträger. 

Für mich hat das Hören von Schallplatten immer etwas sehr Aktives, Bewusstes und Entschleunigendes. Anders als bei CDs oder digitaler Musik gibt es keine Möglichkeit, einfach so auf Knopfdruck einen Song zu skippen. Außerdem wirken die Cover auch deutlich beeindruckender im Vergleich zur CD. Allein aufgrund ihrer Größe. Mit Schallplatten verbinde ich auch ein Gefühl von Gemütlichkeit.

Die Entscheidung, welche Platte ich auflege, treffe ich deutlich bewusster als die, welche Playlist ich höre. CDs kaufe ich, wenn überhaupt nur noch, um sie zu verschenken. Für mich selbst hat der Datenträger mittlerweile überhaupt keine Bedeutung mehr.

Seit gut sieben Jahren sammle ich nun Schallplatten und aktuell besitze ich um die 335. Neue Veröffentlichungen kaufe ich generell auf Vinyl. Wird ein Album nicht auf Platte veröffentlicht, dann kaufe ich es digital, bevorzugt über Bandcamp. Vor allem, weil ich mit meinem Musikkonsum natürlich auch die Bands und Künstler_innen unterstützen will.

Musik zu besitzen ist ein Privileg, welches ich sehr schätze und dessen ich mir auch sehr bewusst bin. Spotify bietet vor allem Zugang zu einer unendlich großen Musikbibliothek, die es mir ermöglicht meinen musikalischen Horizont stetig zu erweitern und somit neue Bands, Alben und Songs für mich zu entdecken. Wenn mir gefällt, was ich höre, dann wandert es früher oder später definitiv auch in physischer Form in meinen Plattenschrank. 

Ordnungssysteme

Wie behält eins bei einer steigenden Anzahl von über 300 Platten den Überblick, fragst du dich vielleicht. Nun, das ist eigentlich ganz einfach: Ich arbeite im Bibliothekswesen und auch meine Platten sind überwiegend nach bibliothekarischen Regeln sortiert. Ich würde sogar behaupten, dass mein Plattenschrank der ordentlichste Bereich meiner Wohnung ist. 

Im ersten Schritt unterteile ich nach Format, weshalb LPs (12″), EPs (10″) und Singles (7″) getrennt stehen. Innerhalb jeder Formatgruppe ordne ich alphabetisch nach Interpret_innen. Nach bibliothekarischem Regelwerk bedeutet das, dass Die Nerven unter N zu finden sind, genau wie auch das Album von Billy Nomates. Weder Artikel noch Vornamen (selbst bei Pseudonymen) werden in die Sortierung einbezogen.

Die einzelnen Veröffentlichungen von Bands/Künstler_innen sind chronologisch sortiert. Sampler stelle ich entweder zu den Künstler_innen, wegen denen ich sie gekauft habe oder sie werden unter dem ersten Buchstaben des Titels einsortiert. Songs That Saved My Life steht also unter S und Von Heimat kann man hier nicht sprechen unter V. Der Harbinger Sound Sampler steht jedoch bei K – hinter Karies. 

Wenn ich gefragt werde, ob ich eine bestimmte Platte besitze, kann ich allerdings auch antworten ohne nachschauen oder überlegen zu müssen. Jede einzelne Veröffentlichung und/oder Pressung meiner Sammlung aufzuzählen wäre hingegen eine größere Herausforderung. Discogs ist natürlich auch eine Hilfe. Auf der Plattform kann eins nicht nur Platten kaufen und verkaufen, sondern auch die eigene Sammlung katalogisieren, was ich tatsächlich auch sehr gewissenhaft mache. 

Die erste selbstgekaufte Schallplatte

Ich war glaube ich ca. 16 Jahre alt, als ich mein Taschengeld eines gesamten Monats für Californication von den Red Hot Chili Peppers ausgegeben habe. Weil ich das Album sehr mochte und weil ich das Cover auch unfassbar faszinierend fand, was auf LP Größe nochmal deutlich beeindruckender war. Es ist dem Cover mittlerweile auch deutlich anzusehen, dass sie mich nun schon mein halbes Leben begleitet. 

Die wertvollste Platte in meiner Sammlung

Wert lässt sich auf verschiedene Arten definieren. 

Die emotional wertvollste ist für mich definitiv Der Traumzauberbaum. Die Amiga Pressung von 1983. Also eine Platte, die älter ist als ich, die meine Kindheit maßgeblich geprägt hat, die ich immer noch gerne höre, bei der ich jedes einzelne Lied mitsingen und alle Dialoge mitsprechen kann. Mein Papa hat sie mir zum Einzug in die erste eigene Wohnung aus seiner Sammlung vermacht und ich hüte sie wie einen Schatz.

Die seltenste und damit auch tatsächlich finanziell gesehen wertvollste Platte in meiner Sammlung ist die Sommerzeit Traurigkeit 7″ von die Nerven. Ein Cover von Summertime Sadness von Lana del Rey. Es gibt sie nur 30 mal. Sie war ein Geschenk, das mich sehr zu Tränen gerührt und meine Die Nerven-Sammlung vervollständigt hat. 

Live-Alben

An Live-Alben scheiden sich auch die Geister. Die einen finden sie gut, andere vielleicht eher überflüssig. Für mich war der Kauf von Live-Alben bisher vor allem ein Weg, die Sammlungen einzelner Bands zu vervollständigen. Aufgelegt habe ich sie bisher nur sehr selten. Es gab eigentlich nur eines, das ich wirklich regelmäßig gehört habe. Aber dieses Jahr ist alles anders.

Gerade in Zeiten von Corona ist es mir besonders wichtig Musiker_innen und Bands mit dem Kauf ihrer Musik, egal ob Live oder im Studio aufgenommen, zu unterstützen. 

Wem fehlen sie nicht, die Liveshows der Lieblingsbands, das Gefühl von Extase, Freiheit und Glück. Ich habe im Laufe diesen Jahres tatsächlich häufiger zu Live Alben gegriffen, wenn ich Platten aufgelegt habe. Sie können ein echtes Konzert natürlich keinesfalls ersetzen, aber zumindest kurzzeitig die Atmosphäre andeuten, die sonst in den großen und kleinen Clubs des Landes herrscht. Ich war ganz froh, eine gewisse Auswahl an Live Aufnahmen zur Hand zu haben. Unter anderem von Beatsteaks, Foo Fighters, Gisbert zu Knyphausen, Die Nerven, Talking Heads und relativ neu auch von Dream Wife.

Der letzte Neuzugang

Mit der neuesten Platte in meiner Sammlung ist auch gleich ein neuer Künstler in meinen Plattenschrank gezogen. Wundersam, das Debüt von Timbeau ist super groovy, unfassbar tanzbar. Ein Album das viele Themen anspricht, aber vor allem auch einen guten Angriff auf meine schlechte Laune darstellt. Es fühlt sich außerdem sehr gut aufgehoben zwischen Talking Heads und Tocotronic. 

Female is not a genre // Diversity

Wie oft muss eins unter Youtube Videos von Bands, die all female bzw non male sind, Kommentare wie „I don’t listen to Girlbands“ oder „They are good – for girls“ lesen. Erste lesen sich, als würde jemand sagen „Also NE mit VOLKSMUSIK kann ich ja so gar nichts anfangen!“ Female is not a genre! Der Vergleich ist also mehr als nur schlecht. Es gibt Genreübergreifend viele tolle Bands mit starken Front-Frauen, & -Personen. Es gibt fantastische Schlagzeuger_innen, Bassist_innen, Gitarrist_innen, Musiker_innen. Frauen & nicht-männliche Personen sind nicht nur Sänger_innen von Bands, die ansonsten komplett (cis) männlich besetzt sind.

Und auch wenn wir auf einem guten Weg sind, werden Musiker_innen, die nicht (cis) männlich sind nach wie vor benachteiligt, von oben herab oder gar so behandelt, als könnten sie ja eh keine Ahnung davon haben, was genau sie eigentlich tun wenn es um Instrumente und Technik geht. 

Männerbands (Wer Girlbands sagt muss auch Boybands sagen!) sind immer noch viel präsenter und bekommen größere Bühnen und Plattformen geboten. Wer das nicht glaubt, braucht sich doch nur einmal die Line-Ups großer Festivals der vergangenen Jahre anzuschauen. Da reicht ein Blick, um das starke Ungleichgewicht wahrzunehmen. Das liegt übrigens so ganz und gar nicht daran, dass es keine Bands gäbe, in denen Männer gar keine Rolle, oder eben in diesem Fall – Instrumente –  spielen. Es liegt an struktureller Benachteiligung, wie in (fast) allen anderen Bereichen der Gesellschaft auch. Wer auf der Suche ist, wird auch fündig, muss sich aber selbst mehr dafür ins Zeug legen, leider. Und auch hier sind Streamingdienste, Schwarmintelligenz in Form von Playlisten und Empfehlungen von Vorteil, aber in meinem Empfinden noch lange nicht genug. 

Und auch in meinen Plattenschrank herrscht nach wie vor ein ziemliches Ungleichgewicht, das muss ich leider zugeben. Es gibt noch einiges zu tun, für die Industrie, Booker_innen, die Gesellschaft und jede_n Einzelne_n von uns.

Ich habe dieses Jahr erstmals in einer Statistik erfasst, ob die Bands, deren Platten ich gekauft/geschenkt bekommen habe „all male“/“gemischt“/“non male“ sind. Ich habe einen stärkeren Fokus darauf gelegt Bands und Künstler_innen zu unterstützen, die eben nicht ALL MALE besetzt sind und dennoch führt diese Kategorie das Rennen an (Schönen Dank auch, Tocotronic!!!).

Zeitgleich habe ich aber auch viel tolle neue Musik für mich entdeckt, die in die Kategorie „non male“ fällt und aus der auch einige in den Plattenschrank eingezogen sind: Julien Baker, Bleached, Dives, Georgia Maq (Sängerin & Gitarristin von Camp Cope) und Wilhelmine, um nur einmal ein paar Beispiele zu nennen. Außerdem gab es in diesem Jahr auch neue Alben von u.a. Muncie Girls, Dream Wife, Haim und Martha Rose. 

Leidenschaft besiegt Vernunft

Als ich anfing Platten zu kaufen, war ich der festen Überzeugung, ich bräuchte definitiv nicht mehr als eine Pressung pro Veröffentlichung in meinem Plattenschrank. Aber wie heißt es so schön? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Bei meinem Lieblingsalbum von Die Nerven, das 2014 erschienene FUN, komme ich mittlerweile auf 3 verschiedene Pressungen/Versionen. Dazu sollte vielleicht erwähnt sein, dass sie sich im Cover und/oder der Vinyl-Farbe unterscheiden. 

Diejenigen, die sich ein wenig mit Schallplatten auskennen, wissen, dass schwarzes Vinyl zwar immer noch überwiegend der Standard ist. Es gibt aber längst die unterschiedlichsten Farben, zum Teil auch in einer Platte. Und wenn jede Nachpressung in andersfarbigem Vinyl herausgebracht wird, kann eins eben doch auch mal schwach werden. Gerade bei Alben, die eins sehr liebt. 

Generell versuche ich meinem Herzen zu folgen, gerade auch was die Anschaffung von Platten angeht. Gerade weil Musik eine unendliche Quelle ist, weil es immer und immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt. Das ist vielleicht auch etwas, was Musik für mich so unfassbar faszinierend macht. Ich empfinde jede neue Platte, jede neue Band und Künstler_in als eine Bereicherung. Nicht nur für meine Plattensammlung sondern mein Leben allgemein. Wenn Musik es schafft mich zu berühren oder zu bewegen, ist es ganz egal, welchem Genre sie zuzuordnen ist. Ich lege mich da nicht fest, warum auch? Damit würde ich mich ja nur selbst limitieren. 

Ein Song der groovy Basslines hat geht mir aber schon deutlich schneller ins Ohr und die Beine, was vielleicht auch daran liegt, dass ich selbst Bass spiele und das Instrument, warum auch immer, so underrated ist. Aber ich schweife ab, darum soll es ja hier gar nicht gehen. 

Ich bin ein Mensch, der Musik sehr bewusst konsumiert. Ein Mensch, der weiß, wie viel (mehr) Arbeit in einem Song steckt, der uns vielleicht nur 4 Minuten begleitet. Ein Mensch der wertschätzt, was im Verborgenen passiert, lange bevor wir die Alben, EPs und Singles in den Händen halten & die Songs in den Ohren haben. Für mich trifft all diese Arbeit an Musik, Artwork und Veröffentlichung haptisch am schönsten bei Schallplatten aufeinander.